„Es geht ganz klar um politische Ziele“

Mit der Heiligsprechung von Escrivá verstoße die katholische Kirche gegen ihre eigenen Regeln, sagt Buchautor Peter Hertel

taz: Josemaría Escrivá ist in Rekordzeit erst 1992 selig und jetzt heilig gesprochen worden. Ging es da immer mit rechten Dingen zu?

Peter Hertel: Die römische Kongregation für die Selig- und Heiligsprechung hat gegen mehrere Regeln verstoßen. Eine ist zum Beispiel, dass Bischöfe und Kardinäle, die ein solches Seligsprechungsverfahren wünschen, dies spontan und ohne Zwang tun müssen. Außerdem müssen sie den Kandidaten persönlich gekannt haben. Das Opus Dei hat von der Unterstützung durch 1.297 Kardinäle und Bischöfe gesprochen – ein Drittel des Weltepiskopats! –, aber nur 128 Bischöfe haben Escrivá persönlich gekannt. Die gute Frage ist, woher die anderen 1.169 ihre Kenntnis nahmen. Ein lateinamerikanischer Kardinal hat mir zudem erzählt, da seien zwei Priester des Opus Dei bei ihm mit einem vorgefassten Brief erschienen, den er einfach unterschreiben solle. Das Ganze gehe dann als sein Votum an den Papst – dies zum Thema „spontan und ohne Zwang“.

Sind denn, wie vorgeschrieben, auch die Kritiker Escrivás zu Wort gekommen?

Da wären wir bei einem weiteren Regelverstoß. Das Opus Dei behauptet zwar, es seien elf gehört worden – aber in den Akten erscheint nur einer, das ehemalige Opus-Mitglied Alberto Moncada aus Spanien, dessen Aussage bloß zwei der über 2.000 Seiten eingeräumt werden und die zugleich als unseriös hingestellt wird. Auch ein Mitglied der Familie Escrivás ist als kritischer Zeuge abgelehnt worden – das ist ein sehr massiver Regelverstoß. Bezeichnenderweise war das Verfahren in der Kirche sehr umstritten; selbst der damalige Kardinal von Madrid hatte seinerzeit dafür plädiert, das Seligsprechungsverfahren auszusetzen – ohne Erfolg. Das Verfahren sollte möglichst rasch durchgezogen werden, denn es geht hier nicht einfach um Heiligenverehrung, sondern ganz klar um kirchenpolitische Ziele.

Die Zweifel betreffen nicht nur das Verfahren, sondern auch den Kandidaten. Sie sprechen in ihrem letzten Buch von der „dunklen Seite Escrivás“.

Zum Beispiel hat er den „heiligen Zwang“ bei der Bekehrung anderer Menschen propagiert; das ist nach heutigem Kirchenrecht nicht mehr erlaubt. Ein zweiter Punkt ist der geforderte blinde Gehorsam, die Unmündigkeit, die er von seinen Gefolgsleuten verlangte. Es ist interessant, dass das deutsche Opus Dei dieses Wort heute aus Escrivás Schriften ausgemerzt hat. Meine Forderung ist dagegen, dass das Opus Dei sich zu dem bekennen soll, was Escrivá wirklich gewesen ist.

Zu dem, was Escriva wirklich gewesen ist, gehört nach Meinung vieler Kritiker auch eine extreme Rechtslastigkeit.

In diese Richtung geht auch eine Bemerkung des wohl ranghöchsten Mitglieds des Opus, das in den letzten zwei Jahrzehnten ausgetreten ist, des britischen Priesters Vladimir Felzmann. Felzmann berichtete mir schon 1984, Escrivá – der das Opus Dei ja in den Zeiten des spanischen Bürgerkriegs aufgebaut hatte – habe die Mittel für seinen Kampf nicht hinterfragt und aus diesem Geist heraus Verständnis sogar für Hitler entwickelt. Gewiss billigte Escrivá die Judenvernichtung nicht, aber er sagte zu Felzmann, „so schlecht kann Hitler ja gar nicht gewesen sein, er hat schließlich mit seinem Eingreifen in den Bürgerkrieg Spanien gegen die Kommunisten für das Christentum gerettet“. Insofern sei Hitler ja seinem religiösen Auftrag der Seelenrettung, die sich auch über den „heiligen Zwang“ verwirklicht, nachgekommen. Das Opus bestreitet diese Aussage und erklärt sie zu einer Erfindung Felzmanns.

Zu Unsinn erklärt Opus Dei auch die Behauptung, es handle sich bei ihr um eine Geheimorganisation.

Mir zum Beispiel hat das Opus Dei jede Auskunft über den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe Ehemaliger verweigert, angefangen von den Bußgürteln bis hin zur Indoktrination Minderjähriger. Im zweiten Schritt wurden meine Ausführungen als unglaubwürdig hingestellt. Mir sind dann die geheimen, internen Anweisungen des Opus Dei in die Hände gelangt, die zum großen Teil die Aussagen der Ehemaligen bestätigen. Undurchsichtig bleibt auch selbst den Opus-Mitgliedern das globale finanzielle und kirchenpolitische Wirken ihrer Organisation. Es gibt immerhin 15 verschiedene Typen der Mitgliedschaft – getrennt nach Geschlecht und Hierarchie –, und diese verschiedenen Gruppen haben kaum untereinander Kontakt. Jemand, der austritt, hat kaum Informationen über das gesamte Opus Dei, weil er nur seinen Bereich kennt. Das ist eine Abschottung untereinander, die natürlich mit Geheimhaltung zu tun hat.

Früher gab es in der katholischen Kirche auch heftige Kritik an Opus Dei. Wie sieht es damit heute aus?

Je mehr das Opus Dei in den letzten Jahren privilegiert wurde – erst durch die Aufwertung zu einer „Personalprälatur“, dann durch die Selig- und jetzt durch die Heiligsprechung Escrivás –, desto mehr wurde auch klar, dass Opus-kritische Bischöfe auch gegen den Papst und seine Politik Stellung nehmen. Die jetzt erfolgende Heiligsprechung immunisiert das Opus Dei natürlich stark gegen binnenkirchliche Kritik. Das ist das kirchenpolitische Ziel der Heiligsprechung – die Immunisierung dieser starken konservativen, deutlich privilegierten Organisation, gegen Kritik. Es ist aufschlussreich, dass mich gleich zwei deutsche Bischöfe wissen ließen, sie begrüßten meine beiden letzten Publikationen, dass aber keiner von ihnen meine Kritik an Escrivá und dem Opus Dei öffentlich unterstützen würde.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN