An der Panke

Hertha BSC tritt nach dem glücklichen 2:1 über Nürnberg auf der Stelle und gibt sich vagen Hoffnungen hin

BERLIN taz ■ Wenn der Feuilletonist Alfred Kerr die Berliner ein wenig ärgern wollte, sagte er mit charmanter Unverschämtheit, Berlin liege an der Panke, einem kleinen Fließ im Bezirk Pankow. Er gönnte seiner Stadt, in der er gern und lang lebte, keine opulente Lokalisierung und zeigte gleichzeitig auf, dass Berlin seiner Meinung nach keine Weltstadt sei, sondern ein großes Dorf, durch das der Duft der Currywurst weht. Große Städte liegen an großen Flüssen, meinte Kerr in den Zwanzigerjahren, am Rhein, der Seine oder Themse.

Berlin liegt nach wie vor an der Panke, und der Wunsch, größer zu sein als man ist, bewegt die Gemüter der Hauptstädter auch im Jahr 2002, vor allem fußballerisch, wo die Hertha nach Titeln und Pokalen strebt, aber Spieltag für Spieltag Kicks an der Panke bietet. Die Herthaner hoffen auf eine rosige Zukunft, in der etwas passieren möge, das die alte Hertha an neue Ufer führt. Nur was könnte dieses ominöse Etwas sein?

Nach dem Spiel gegen Nürnberg, das glücklich mit 2:1 gewonnen wurde, einigten sich die Herthaner darauf, dass demnächst ein Knoten aufgehen müsse. Ein 3:0 müsse mal her, oder besser gleich ein 4 oder 5:0, damit sich die Mannschaft vom Druck befreien, einer Last entledigen kann. Manager Dieter Hoeneß sagte das und auch Mittelfeldspieler Andreas „Zecke“ Neuendorf. Im Grunde waren alle der Meinung, dass der Status quo, den der Verein nach acht Spieltagen erreicht hat, nicht das große Ding verheißt, dem Hertha zuzustreben gedenkt.

Erstmals in dieser Saison ging es samstags im mit 38.700 Zuschauern gefüllten Berliner Olympiastadion nicht voran. Es war kein Fortschritt zu erkennen, weder in der Spielanlage noch im Kombinationsspiel oder den Sturmbemühungen. Kämpferisch ist Hertha ohnehin an der Grenze. Man rennt sich schon die Lunge aus dem Leib und wäre deshalb froh darüber, wenn nicht so viele Spieler verletzt wären. Alves, Simunic, Schmidt, Beinlich, Nene und Sverrisson laborieren an verschiedensten Wehwehchen. Trainer Huub Stevens beklagte wortreich einen „Mangel an Alternativen“. Doch der allein kann’s nicht sein. Auch die Tatsache, man habe durch Michael Preetz eine Vielzahl von Chancen gehabt, kaschiert nur ein grundsätzliches Problem: Stevens hat zwar alle Fäden in der Hand, aber die Puppe Hertha bewegt sich unter seiner Führung noch ungelenk und ruckartig. Vielleicht braucht der Holländer einfach mehr Zeit. Das fordert Hoeneß gebetsmühlenartig. Zeit ist freilich an der Panke eine Größe, der man nicht vertraut. Die Berliner wollen immer alles gleich. Schönes Spiel. Drei Punkte. Und, wenn’s geht, ein bisschen kosmopolitisches Flair gleich mit, damit es nicht so nach Frittenbude mieft.

Klaus Augenthaler konnte es recht sein, dass sich Huubs Hertha noch nicht recht gefunden hat. Augenthalers Team spielte eine erfrischende erste Halbzeit, kam zu Torchancen, und hätten die Nürnberger genauer gespielt, sie hätten nicht nur mit 1:0 durch Sasa Ciric geführt. Der Gästetrainer konnte sich gar nicht erinnern, wann der Club auswärts einmal so viele Möglichkeiten gehabt hatte. „Da muss ich direkt nachschauen“, sagte er. Letzlich sei die Niederlage „unnötig wie ein Kropf“ und schmecke obendrein „bitter“.

Nürnberg hatte sich das Spiel selbst vergällt. Denn in der zweiten Halbzeit zogen sie sich viel zu früh zurück und ließen Hertha kommen. Marcelinho nahm das Angebot der Nürnberger an und erzielte zwei sehenswerte Tore. „Die haben halt einen Guten, der die Dinger macht“, sagte Torwart Darius Kampa nach dem Spiel frustriert. Augenthaler war kaum weniger zerknirscht: „Eigentlich lief das Spiel für uns.“

Hoeneß, der, ginge es nach der reinen Machbarbeit und diente es seinem Hertha-Projekt, die Elbe nach Berlin umleiten würde, bemängelte zu späterer Stunde „die spielerische Seite“ und nestelte weiter an Herthas gordischem Knoten, der sich irgendwann lösen müsse. Solange es an dieser Stelle klemmt, wird Berlin weiter an der Panke liegen.

MARKUS VÖLKER