FRAGWÜRDIGER DEAL DER US-JUSTIZ MIT DEM „AMERIKANISCHEN TALIBAN“
: Hollywood wird weinen

Es ist eine bizarre Lebensgeschichte, die Verlegern und Filmproduzenten sicher schon das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt: Ein wohlbehüteter Jugendlicher aus dem Althippie-Milieu Nordkaliforniens tritt als 16-jähriger Teenager zum Islam über, lernt Arabisch und schließt sich den mittelalterlichen Gotteskriegern der Taliban in Afghanistan an. Dort fällt er, verwirrt und verdreckt, amerikanischen Soldaten in die Hände, die ihn als Kronzeugen gegen das afghanische Schreckensregime in die USA und dort vor Gericht bringen.

Doch was hat der „amerikanische Taliban“ verbrochen? Die Antwort ist nicht einfach, angesichts des juristischen Verwirrspiels, das die USA seit dem 11. September 2001 betreiben und in dem sie Begriffe ständig neu definieren, wenn es ihnen notwendig erscheint. Noch vor knapp zwei Jahrzehnten konnten islamische Freischärler wie Lindh in Afghanistan mit Milliardensummen aus der Kasse des US-Geheimdienstes CIA rechnen. Doch damals ging der Kampf gegen Moskau. Inzwischen aber erklärten die Taliban die USA zum Hauptfeind und schützten bis zuletzt das Terrornetz von Ussama Bin Laden. Lindh will das nicht gewusst haben, wollte nie gegen die USA kämpfen, al-Qaida unterstützen oder den Terrorismus fördern, wie ihm die Ankläger zur Last legten. Seine Reue ermöglichte den Deal, den seine Anwälte mit der Staatsanwaltschaft aushandelten. Diese Übereinkunft erspart ihm lebenslange Haft und dem Staat eine äußerst mühsame und angreifbare Beweisführung auf juristisch schwierigem Terrain. Selbst der am schwersten wiegende Vorwurf gegen Lindh ließe sich mangels Zeugen oder Beweisen wohl kaum belegen: dass der „amerikanische Taliban“ sich bei der Ermordung des CIA-Agenten Mike Spann nicht nur am gleichen Ort befand, sondern an der Tat auch beteiligt war.

Die Medien müssen jedenfalls auf einen mit Sicherheit spektakulären Prozess verzichten. In Lindhs Deal mit dem Gericht ist auch festgelegt, dass er keinen Gewinn aus eventuellen Buchverträgen ziehen darf – was die Verlagsbranche prompt beklagt. STEFAN SCHAAF