20 Jahre für den Taliban aus Kalifornien

Gericht sieht von lebenslänglicher Strafe gegen den in Afghanistan festgenommenen John Walker Lindh ab

WASHINGTON taz ■ Seine Bezeichnung verrät bereits die für viele Amerikaner unfassbare Kombination: „American Taliban“. Ein junger Mann aus ihrer Mitte, noch dazu aus dem liberalen Kalifornien, verrät die Werte seiner Nation und bekennt sich zu religiösen Fanatikern. Das öffentliche Interesse an der Person John Walker Lindhs wurde dadurch verstärkt, dass er bei der Gefangenenrevolte von Masar-i Scharif verhaftet wurde, in deren Verlauf der erste US-Amerikaner im Afghanistan-Einsatz, ein CIA-Agent, ums Leben kam.

Die Richter des ansonsten für seine strengen Strafmaße berüchtigten Bundesgerichtes von Alexandria im Bundesstaat Virginia ließen sich von dem zuweilen sehr emotionalen Prozess nicht beeindrucken und verurteilten Lindh am Freitag zu 20 Jahren Haft. Der 21-Jährige distanzierte sich vor der Urteilsverkündung von seinen Taten. Bereits im Juli hatte sich Lindh des illegalen Sprengstoffbesitzes und der Unterstützung des Taliban-Regimes, in den Augen der Ankläger eine terroristische Vereinigung, schuldig bekannt. Er vermied dadurch eine möglicherweise lebenslängliche Strafe. Im Gegenzug zum Schuldbekenntnis ließ die Bundesanwaltschaft den schwerer wiegenden dritten Anklagepunkt – Verschwörung zur Ermordung von Amerikanern – fallen. Es gebe keine Beweise, dass Lindh an der Tötung des CIA-Offiziers beteiligt war. Bei guter Führung könnte Lindh, der seine Strafe in einem kalifornischen Gefängnis nahe seinem Elternhaus absitzen soll, mit 38 Jahren wieder ein freier Mann sein.

Der „amerikanische Taliban“ bleibt für viele in den USA ein Geheimnis. Lindh wuchs in einer behüteten Vorstadt-Umgebung in Kalifornien auf, war ein guter Schüler und liebte Musik. Die Wandlung des schüchternen Jungen begann, als er sich mit dem radikalen schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X beschäftigte. Als Teenager konvertierte er zum Islam, studierte im Jemen Arabisch und den Koran. Er erhielt Waffentraining in Pakistan, ließ sich in einem Al-Qaida-Camp in Afghanistan ausbilden und schloss sich im Mai 2001 den Taliban an. Während seiner Haft gab er dann bereits im Dezember erstaunliche Informationen preis, die erst jetzt veröffentlicht wurden. Lindh will in einem Al-Qaida-Trainingslager in Afghanistan von einem Ausbilder gehört haben, dass Bin Laden den 11. September „den ersten Angriff“ nannte. Im Camp gab es offenbar Spekulationen, wonach die folgenden Angriffe auf Atomanlagen, Öl- oder Gas-Pipelines zielen könnten. Auch über biologische Waffen sei gesprochen worden. Lindh, der die Aussagen bei Verhören durch FBI und CIA machte, soll berichtet haben, dass eine zweite Terrorwelle für Mitte November 2001 und ein dritter Angriff für Anfang 2002 vorgesehen war. Er selbst sei ferner von den Taliban aufgefordert worden, ein Selbstmordattentat zu begehen. Diesen Auftrag habe er jedoch abgelehnt.

Das Urteil gegen Lindh könnte die Debatte um die als „feindliche Kämpfer“ deklarierten US-Amerikaner neu beleben, die bislang ohne Anklage und Rechtsbeistand in Militärgefängnissen sitzen und deren Beweislage im Vergleich zu Lingh noch dünner ist. MICHAEL STRECK

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