Menschenjagd in Dunkerque

In der nordfranzösischen Stadt erschießt ein Mann einen arabischen Einwanderer und verletzt drei weitere

PARIS taz ■ „Ich werde euch alle umbringen!“, schreit ein Mann in grüner Jägerkluft durch die knapp heruntergelassene Fensterscheibe seines grünen Jeeps und schießt. Dann legt er das Gewehr auf den Beifahrersitz und fährt davon. Auf dem Asphalt vor dem von Männern aus Einwandererfamilien frequentierten Café „La Mouette“ in der nordfranzösische Stadt Dunkerque hinterlässt er drei Verletzte.

Eine Dreiviertelstunde später kreuzt er in einem Nachbarstadtteil auf. Er zielt auf Mohamed Maghara, der an diesem Abend mit Freunden auf dem Vorplatz eines Geschäftes steht und diskutiert. Der 17-Jährige stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.

Eineinhalb Tage nach der blutigen Tat ist gestern in Dunkerque ein 45-Jähriger verhaftet worden. Der entscheidende Tipp kam aus dem direkten Umfeld des Verhafteten. Jemand hatte die Tatvorbereitungen beobachtet, erklärte gestern der Staatsanwalt. Der Verdächtige gehöre keiner Partei an und sei der Polizei bislang unbekannt gewesen. Bei ihm wurden mehrere Jagdgewehre und Munition gefunden.

Seit Freitagabend steht Dunkerque unter Schock. Die Hafenstadt in Frankreichs einstmaligem Industrie- und Bergbaugebiet zog wie die ganze Region in Grenzgebiet zu Belgien seit Jahrhunderten Einwanderer an, bevor in den 70er-Jahren die Deindustrialisierung begann. Heute liegt Dunkerque in einer Zone mit besonders hoher Arbeitslosigkeit. Die rechtsextremen Parteien schneiden dort bei Wahlen regelmäßig gut ab.

Am Morgen nach der Tat versammelten sich hunderte von Menschen auf dem Platz im Stadtteil Grande-Synthe, wo Mohamed Maghara ermordet wurde. Alte Männer versuchten, Jugendliche von Gewaltakten abzuhalten. Ein aufgebrachter junger Mann erklärte französischen Journalisten, hoffentlich werde der Täter bald verhaftet – das sei „besser für ihn“. Dann setzte sich ein Schweigemarsch von tausend Menschen in Bewegung. In der Nacht darauf gingen in Dunkerque mehrere Autos in Flammen auf.

Auch auf der Pariser Bühne sorgte die Tat für Aufregung. Innenminister Nicolas Sarkozy ging in die große Moschee, sprach von einem „Trauertag für die muslimische Gemeinde“. Premierminister Jean-Pierre Raffarin sagte, er sei „im Herzen zutiefst verletzt“ und mahnte: „Man hat aus rassistischen Gründen und aus Intoleranz getötet: Ich glaube wirklich, dass Frankreich das nicht hinnehmen kann.“

Der Mörder hatte seine rassistische Menschenjagd offenbar sorgfältig vorbereitet. Er trug – obschon nachts unterwegs – eine dunkle Sonnenbrille und einen vermutlich aufgeklebten Bart und Schnauzer. Das Kennzeichen seines Jeeps hatte er unlesbar gemacht. DOROTHEA HAHN