Möllemanns kleiner Bruder


Spaß dient ihm nicht als professionelles Mittel zum Stimmenfang, sondern als privates VergnügenDie Presse erkannte in Stadler den „stillen Star“im Parteispenden-Untersuchungsausschuss

von ULRIKE HERRMANN

Sie sitzen beide im neuen Bundestag, beide für die FDP. Sie sind über fünfzig Jahre alt, tragen einen Schnurrbart und scheiteln ihr Haar nach rechts. Sie sehen sich erstaunlich ähnlich, fast wie der kleine und der große Bruder. Damit aber endet ihre Ähnlichkeit.

Der ältere, Jürgen W. Möllemann, ist charismatisch und populistisch, geht auf antisemitischen Stimmenfang und spaltet die Liberalen. Wäre er nicht krank geworden, hätte heute ein Sonderparteitag über seine Zukunft abgestimmt. Der jüngere, Max Stadler, war 18 Jahre lang Staatsanwalt und Richter in Bayern, betreibt jetzt Fachpolitik im Innenausschuss. Seine Bedeutung in der FDP beschreibt er so: „Ich sitze in der zweiten Reihe.“ So bescheiden würde sich sein ungleicher Zwilling Möllemann selbst dann nicht äußern, wenn er längst aus dem Theater geflogen wäre.

Aber noch ist es nicht so weit, noch beherrscht Möllemann die Bühne und zwingt die FDP, ihn fassungslos anzustaunen. Zwar scheint seine Entmachtung bevorzustehen, doch davor fürchten sich selbst seine Gegner: Er hat das Projekt 18 und die Kanzlerkandidatur erfunden; er hat das Kunststück vollbracht, dass Fallschirmsprünge neuerdings als politisches Ereignis gelten. Durch ihn wurden die Liberalen zu einer Spaßpartei, die so bizarr ist wie ihre Parteitage: Da sieht man alte Herren wie Schuljungen mit gelb-blauen Fähnchen wedeln, auf denen eine große 18 steht. Möllemann hat die Liberalen zu einer Art Club Mediteranée umgestaltet und sich selbst zum Chefanimateur ernannt. Da es damit aber bald vorbei sein könnte, stellt sich die Frage, was eigentlich übrig bleibt von der FDP.

Zuständig für spaßfreie Politik

Zum Beispiel der Max Stadler in der zweiten Reihe. Er ist schon jetzt zuständig für die spaßfreie Politik und kümmert sich um Themen wie Zuwanderung und NPD-Verbot. Da scheinen die grauen Dreiteiler bestens zu passen, die der Jurist aus Passau bevorzugt.

Stadler wirkt wie der genormte Beamte, bis er anfängt, die Mitglieder einer Entenfamilie namens Duck zu zitieren. Das macht er eigentlich immer. Wie er die momentane Lage der FDP beurteilt? „Schwere Zeiten, Kamerad!“, antwortet Stadler, als wäre er jener Bernhardiner, für den Daniel Düsentrieb eine Sprechmaschine gebastelt hat.

Allerdings muss auch beim Humor Ordnung herrschen. Stadler kann es nicht leiden, wenn Details nicht stimmen; das gilt für Gesetze genauso wie für Entenhausen. Einst hat Die Woche eine ganze Seite über die Liebschaften des Dagobert Duck produziert, doch die Affäre mit Nelly fehlte. Also verfasste Stadler einen „ergänzenden Leserbrief“, um über Dagoberts Liaison mit dieser Honky-Tonky-Barsängerin aufzuklären.

Stadlers Ironie erinnert an „Genschman“. Der heutige Ehrenvorsitzende der Liberalen fand es als Außenminister durchaus amüsant, dass das Satiremagazin Titanic jahrelang seine gelben Pollunder und abstehenden Ohren karikierte. Was Genscher und Stadler an Humor gemeinsam haben, das trennt sie von Möllemann: Sie machen keinen Spaß, denn der ist ja in Wahrheit eine bitterernste Inszenierung, die höchst professionell auf Stimmen zielt. Ihre Selbstironie bleibt ihr Privatvergnügen.

Manchmal fragt sich Stadler, was er überhaupt in der Politik macht. Doch bevor die Zweifel zu stark werden, erinnert er sich an die „Kleinigkeiten“, die er in rot-grüne Gesetze hineinverhandelt hat. Dann ist er wieder stolz auf sich selbst. So hat er durchgesetzt, dass ausländische Ehegatten nach einer Scheidung auch dann in Deutschland bleiben dürfen, wenn sie Sozialhilfe beziehen. Und er hat verhindert, dass ehemalige Zwangsarbeiter von ihrer „sowieso nur symbolischen Entschädigung“ auch noch das Honorar für ihre deutschen Anwälte abzweigen müssen.

Mit seiner bescheidenen Art hat sich auch Stadler Ansehen erworben, aber das will er nicht selbst sagen müssen. Also überreicht er lieber ein zweiseitiges Papier „mit wohlwollenden Zitaten über mich“. Er weiß selbst, dass das ein bisschen albern ist, und wie immer, wenn er sich über sich selbst amüsiert, reibt er mit der linken Hand an seiner Nasenspitze.

Also gut, einige der Zitate. Da schreibt etwa Spiegel Online im letzten Dezember, als es um die Sicherheitspakete von Bundesinnenminister Otto Schily ging: „Stadler von der FDP war neben Petra Pau von der PDS der Einzige, der es noch wagte, Fragen zu Inhalt und zum Verfahren mit dem neuen Otto-Katalog zu stellen.“ Und der Tagesspiegel nannte ihn einen „stillen Star“ im Parteispenden-Untersuchungsausschuss.

Dort nämlich konnte Stadler anwenden, was er als Staatsanwalt und Richter gelernt hatte: Zeugen befragen. Schnell begannen die Journalisten, ihn als eine neutrale Stimme zu schätzen. Denn er versuchte weder – wie die CDU – den Skandal der schwarzen Unionskassen zu leugnen, noch bauschte er ihn auf, wozu die rot-grünen Vertreter neigten. Allerdings würde Stadler nie bestreiten, dass Untersuchungsausschüsse auch dem Wahlkampf dienen. Sein Glück war, dass er Objektivität und Parteiinteressen verbinden konnte. Indem er alle denkbaren Koalitionspartner gleich behandelte, nahm er Möllemanns Unabhängigkeitsstrategie vorweg. Oder wie es Stadler in seiner ironischen Präzision ausdrückt: „Es war mir sofort klar, dass das später formulierte Prinzip der Äquidistanz von mir praktiziert werden musste.“

Und so kam es immer wieder zu kleinen Szenen wie dieser: CDU-Obmann Schmidt und der Grüne Ströbele fragten eines Tages im Mai heftig nach, was Franz Müntefering über eine Liste mit angeblichen Spendern wisse. Sie wollten ihn als „Lügner“ überführen und hofften, dass sich irgendwie zeigen ließe, dass auch der SPD-General mit der Korruption rund um die Müllverbrennungsanlagen in Nordrhein-Westfalen zu tun habe. Nur Stadler winkte genervt ab: „eine Nebensache“. Die Journalisten waren damals dankbar für dieses klare Wort, das die Berichterstattung so viel übersichtlicher machte.

Der Untersuchungsausschuss erlöste Stadler aus einer „persönlich-politischen Krise“. Denn als bayerischer FDP-Landesvorsitzender war er zuvor komplett gescheitert. Seine Liberalen hatten 1998 in der Landtagswahl nur 1,7 Prozent der Stimmen erhalten und „konkurrierten mit der bayerischen PDS um den letzten Platz“. Heute findet Stadler das zwar lustig, aber damals fühlte er sich wie der Hauptdarsteller einer Kinderserie, die er mit seinem Sohn Jakob immer sah. Sie handelte von kleinen Lokomotiven, die nützlich sein wollten. Doch nach dieser Wahlniederlage kam sich Stadler wie eine „sehr unnütze Lokomotive“ vor.

Facharbeiter in Sachen FDP

Es tröstete auch nicht, dass seine Wahlschlappe eine von vielen war. 15 Niederlagen mussten die Liberalen bei Landtagswahlen hinnehmen, bevor sie beschlossen, auf Möllemanns Kurs einzuschwenken. Legendär ist immer noch dessen Sieg in Nordrhein-Westfalen, wo die Liberalen im Mai 2000 fast zehn Prozent erhielten. Die neue Spaßorientierung überzeugte Stadler daher durchaus, solange er seiner Fachpolitik nachgehen durfte. Keinesfalls wollte er selbst im Guidomobil sitzen – „undenkbar“ –, aber umso dankbarer war er, dass Möllemann und Westerwelle die Außenwerbung übernahmen. Denn wie alle Liberalen litt auch Stadler, als nur fünf bis zehn Zuschauer zu FDP-Veranstaltungen kamen. Also hatte er nichts gegen die schöne Arbeitsteilung zwischen Ernst und Spaß. Er besorgte die Facharbeit, die anderen die Stimmen.

Dieses System wurde erstmals erschüttert, als Möllemann im Frühsommer anfing, den israelischen Premier Scharon und den jüdischen Publizisten Michel Friedman zu attackieren. Damals jedoch war Stadler noch bereit, die Ausfälle für Ausnahmen zu halten.

Dann aber landete Möllemann mit seinem liberalen Fallschirmgeschwader im niederbayerischen Straubing, das an den Wahlkreis Passau grenzt. Stadler erlebte einmal mit, was sich viel öfter abgespielt haben muss: Möllemann wurde von seinen Fans bestürmt, dass er seine antiisraelischen Positionen nicht aufgeben solle. So ermutigt hat er dann kurz vor der Wahl ein entsprechendes Flugblatt in Nordrhein-Westfalen verteilt. Da wollte Stadler nicht mehr verzeihen. Für ihn ist es „absolut unakzeptabel“, dass der Parteivize versucht hat, „am rechten, trüben Rand zu fischen“.

Ab jetzt müssen die Liberalen ohne Möllemann auskommen, das sieht zumindest Stadler so, und er ist optimistisch, dass es gelingen kann. Denn 7,4 Prozent sind zwar kein Projekt 18, aber trotzdem beachtlich, weil es diesmal keine Leihstimmen gab. Allerdings ist Stadler von Stimmen inzwischen unabhängig. In vier Jahren will er nicht mehr für den Bundestag kandidieren, sondern möchte seine Erfahrungen einer internationalen Menschenrechtsorganisation zur Verfügung stellen. „Wenn das nicht vermessen ist“, fügt er hinzu. Und spricht wieder einen dieser Sätze aus, die sein ungleicher Zwilling nicht einmal denken könnte.