Ein verfahrenes Verfahren

Am Bundesverfassungsgericht wird morgen die Rolle der staatlichen V-Leute in der vom Verbot bedrohten NPD erörtert

von CHRISTIAN RATH

Das NPD-Verbotsverfahren geht weiter, aber es kommt nicht unbedingt voran. Am Dienstag wird in Karlsruhe zwar zum ersten Mal mündlich verhandelt, dabei geht es aber noch lange nicht um die Frage, ob die NPD verfassungsfeindlich ist. Jetzt müssen sich erst einmal die Antragsteller – Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag – unbequeme Fragen zum V-Mann-Einsatz in der NPD stellen lassen.

Eigentlich war die mündliche Verhandlung bereits für den Februar angesetzt. Doch kurz vor dem Termin erfuhren die Richter, dass eine der aus dem NPD-Umfeld geladenen Auskunftspersonen, das ehemalige Vorstandsmitglied Wolfgang Frenz, auch für den Verfassungsschutz gearbeitet hat. Als das Bundesinnenministerium sich weigerte, den Sachverhalt aufzuklären, sagte Karlsruhe die mündliche Verhandlung kurz entschlossen ab. Die V-Mann-Problematik werfe komplizierte neue Rechtsfragen auf, hieß die Begründung.

Seither sind die Antragsteller nicht mehr aus der Defensive herausgekommen. Nach und nach wurden immer mehr V-Leute in der NPD bekannt, die auch in den Verbotsanträgen als Beleg für die Gefährlichkeit der Partei zitiert wurden. In der Öffentlichkeit entstand schnell der Eindruck, dass der Staat ganz wesentlich die Außenwirkung der NPD mitbestimmte. Diesen Eindruck konnten die Anwälte der Staatsseite bisher auch nur bedingt ausräumen. Denn sie weigern sich, die Namen aller V-Leute offen zu legen. Der Verfassungsschutz fürchtet um seine Überwachungsmöglichkeiten, wenn er alle Quellen offen legt. Außerdem seien die Spitzel auch persönlich gefährdet, wenn in der rechten Szene ihre Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst bekannt würde.

Am Dienstag will das Gericht nun in drei Schritten vorgehen. Zunächst soll diskutiert werden, wie stark die V-Leute tatsächlich das Erscheinungsbild der NPD bestimmten. Anschließend will das Gericht über die Anwerbung und Kontrolle von V-Leuten sprechen, um zu sehen, ob die Handlungen der Spitzel der NPD zuzurechnen sind. Abschließend soll geklärt werden, auf welchem Weg dem Gericht die nötigen Erkenntnisse übermittelt werden könnten.

Nach wie vor ist völlig offen, ob und wie das Verfahren fortgeführt werden kann. Die Antragsteller sähen es am liebsten, begnügte sich das Gericht mit ihren Versicherungen, dass die V-Leute weder die NPD steuerten noch das Erscheinungsbild verfälschten. Es gibt allerdings in der BRD-Geschichte genügend Beispiele, dass sich Geheimdienste nicht an ihre Vorschriften hielten.

Auch die Anhörung von Geheimdienstmitarbeitern als „Zeugen vom Hörensagen“ würde wenig bringen. Denn anders als im Strafprozess könnten die Führungsbeamten hier nicht einmal sagen, welche Aussagen von V-Leuten stammen und welche nicht. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht daher das so genannte „In-Camera-Verfahren“. Hier würden nur die Richter Informationen erhalten – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der NPD. Dabei könnten sowohl die Namen aller V-Leute genannt als auch die Rolle konkreter, bisher noch nicht enttarnter Spitzel diskutiert werden.

Das In-Camera-Verfahren ist rechtsstaatlich bedenklich. Die NPD könnte an wesentlichen Teilen des Verfahrens gar nicht teilnehmen und dem Gericht auch ihre Sicht der Dinge nicht zur Kenntnis geben. Kaum vorstellbar, dass dies vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand hätte.

Bleiben also vor allem drei Möglichkeiten. Entweder das Gericht bekommt tatsächlich alle Informationen, die es benötigt, wie der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz bereits mehrfach ankündigte. Dann aber müsste Karlsruhe auch die Verantwortung für die Folgen übernehmen, also zum Beispiel die persönliche Gefährdung von V-Leuten. Davor wird das Gericht vermutlich zurückschrecken.

Die Antragsteller könnten ihre Verbotsanträge auch jederzeit zurückziehen. Doch dafür gibt es keine Anzeichen. Zu sehr haben sie sich darauf festgelegt, dass die NPD unmittelbar gefährlich ist und ein Scheitern des Verbotsverfahrens das deutsche Ansehen im Ausland schädigen würde.

Vielleicht wird das Verfassungsgericht deshalb den Prozess einfach solange verschleppen, bis alle Schriftsätze veraltet sind und das Verfahren mangels Substanz eingestellt werden muss. Kompliziert genug ist die Lage ja.