Der Schafkopf als Visitenkarte

Auf ihrer Inkassotour entwickelten zwei Geldeintreiber eine blühende Fantasie. Nun sitzen sie vor Gericht

Bei manchen Menschen ist mangelnde Überzeugungskraft Schuld an ihrem Unglück. Auch bei Thomas G. und Richard M. verhält es sich so. Zwar fehlt es ihnen nicht an schauspielerischem Talent. Die Fähigkeit, ihre Interessen bis zur letzten Konsequenz durchzusetzen, nimmt man den beiden Männern dennoch nicht ab – trotz ihrer gedrungenen Statur. Für Angehörige der Inkassobranche ist das fatal. Schließlich geht es in diesem Wirtschaftszweig um große Summen, die es im Auftrag anderer Firmen einzutreiben gilt. Die jeweiligen Schuldner nahmen die Drohungen der Inkassounternehmer Thomas G. und Richard M. zwar ernst, hatten zuweilen auch ein bisschen Angst – zahlen taten sie jedoch nicht. Zu allem Übel schaltete schließlich einer der Betroffenen sogar die Polizei ein. Seit gestern sitzen der 42-jährige Thomas G. und sein Kollege, der 37-jährige Richard M., vor dem Amtsgericht. Angeklagt sind sie wegen Nötigung, Sachbeschädigung und allerlei anderer unseriöser Geschäftspraktiken.

Thomas G. und Richard M. sehen so aus, wie man sich gemeinhin Vertreter ihrer Berufsgruppe vorstellt. In den Gerichtssaal kommen sie herein wie zum Kämpfen, ausholenden Schritts, solariumgebräunt, die breiten Schultern in enge Jacketts gezwängt. Glaubt man der Staatsanwältin, fehlte es den beiden Angeklagten auch bei ihrer Arbeit keineswegs am Sinn für theatralische Gesten. Einmal sollen sie zur Einschüchterung eines Schuldners einen Schafkopf an dessen Haustür befestigt haben, ein Trauerflor mit den Worten „Ein letzter Gruß“ hing dabei. Sie sollen angerufen und gesagt haben: „Du hast nicht mehr viel Zeit.“ Autoreifen wurden zerstochen, und kräftige Herren postierten sich bedrohlich in Hauseingängen, heißt es. Bei einem anderen Geschädigten sollen die Inkassounternehmer ihren Forderungen Nachdruck verliehen haben, indem sie immer wieder mit einem Fotoapparat am Haus vorbeipatrouillierten. In einem Kreuzberger Autohaus nahmen die Geldeintreiber Visitenkarten aus einem Verkaufsständer und zerrissen diese mit bedeutungsvoller Miene. Meist gaben sich die beiden Männer russische Namen, sagt die Anklage. Mit ihren Opfern sprachen sie mit russischem Akzent, setzten sich dunkle Sonnenbrillen auf, erwähnten einen mysteriösen „Alexey“, – alles, um glaubhaft mit der Russenmafia in Verbindung gebracht zu werden.

Die beiden Angeklagten schweigen zu diesen Vorwürfen. Still und kräftig sitzen sie da, lassen körperliche Überlegenheit für sich sprechen; das können sie gut. Auch wenn in den aufgeführten Fällen keine Gelder geflossen sein sollen, scheinen Thomas G. und Richard M. auf ihre Opfer immer noch so bedrohlich zu wirken, dass der Nachweis einer Schuld schwierig wird. Der Zeuge W. erkennt G. im Gerichtssaal zwar wieder. Ein Schafkopf sei bei ihm in jener Zeit auch an der Haustür aufgetaucht, Autoreifen wurden zerstochen und bedrohliche Flugblätter lagen im Briefkasten. Aber ob G.s Inkassounternehmen etwas damit zu tun habe, könne er nicht sagen. Kurzum, aus diesem Zeugen ist nichts herauszuholen. Thomas G. stützt selbstbewusst die Hände aufs Knie, Daumen nach außen. Die Anwälte lächeln zufrieden.

Trotzdem spricht einiges dafür, dass die beiden Männer dieser Tage nicht zu Unrecht auf der Anklagebank sitzen. Zum Beispiel gibt es da diese Frau, die nervös rauchend draußen auf dem Gerichtsflur auf und ab läuft: „Ich bin Zeugin, und wenn der Richter in deren Anwesenheit meine Adresse laut vorliest, sag ich gar nichts“, ruft sie verzweifelt. Dann erzählt sie noch einmal die Geschichte mit dem Schafkopf und den kräftigen Männern mit den Sonnenbrillen, und wie viel Angst sie gehabt habe. „12 Kilo habe ich damals zugenommen!“ Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

KIRSTEN KÜPPERS