Braune Bibeln aus Gütersloh

Unabhängige Historikerkommission bescheinigt Bertelsmann Verlag im NS-Staat regimekonformes Wirtschaften. Die späteren Legenden vom Widerstand dienten zur Lizenzerschleichung nach 1945

von STEFFEN GRIMBERG

In den USA werden sie sich heute wieder einmal die Augen reiben über jenen Weltkonzern aus Deutschland, der zwar zu den fünf umsatzstärksten Medienunternehmen der Welt gehört, sich aber weiterhin als etwas zu groß geratenes Familienunternehmen geriert.

Diesmal hat allerdings keine hinter den Kulissen agierende Gattin des Firmenprinzipals wie im Juli kurzerhand den Vorstandsvorsitzenden geschasst. Bertelsmann wird vielmehr zum zweiten Mal nach 1998 von seiner Vergangenheit eingeholt. Genauer: von den Unternehmensaktivitäten in der Zeit des NS-Regimes. Für Weltkonzerne deutschen Ursprungs bleibt das selten folgenlos. Vor allem, wenn sie wie Bertelsmann rund ein Drittel ihres Umsatzes in den Vereinigten Staaten erzielen.

Dass die „Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich“ von ebendiesem Haus Bertelsmann eingesetzt und finanziert wurde, dürfte daran wenig ändern. Denn die Kommission räumt auf mit den Mythen des aus den christlich-sozialen Wurzeln der Gründerfamilie Bertelsmann und ihrer Nachfolger, der Mohns, erblühten Erfolgsunternehmens, das auch in dunkler Zeit eine saubere Weste behielt. „Die Legende, C. Bertelsmann sei als ‚Widerstandsverlag‘ geschlossen worden, ist nicht aufrecht zu halten. Sie diente ab 1945 dazu, von den Besatzungsbehörden möglichst bald eine neue Verlagslizenz zu erhalten“, lautet einer der entscheidenden Sätze in der Kurzfassung des gestern im München präsentierten Kommissionsberichts.

Anders als im ersten Zwischenbericht vor mehr als zwei Jahren lässt die Sprache der Wissenschaftler – neben den Historikern Saul Friedländer, Norbert Frei und Reinhard Wittman der Theologe Trutz Rendtorff – an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Das 1928 begonnene belletristische Programm war gleichfalls geprägt von nationalistischen Tönen und Parteinahme gegen die Moderne“, heißt es dort: „Es verkaufte sich […] gerade nach der NS-Machtübernahme mit wachsendem Erfolg; vor allem galt dies für die Kriegsbücher, die aus der Militarisierung der Gesellschaft Profit zogen und diese förderten.“

Von alledem war in der Festschrift zum 150. Bertelsmann-Geburtstag im Jahre 1985 nichts zu finden; sie propagiert den aufrechten Verlag, der sich im Dritten Reich sogar getraut habe, Schriften der Bekennden Kirche zu drucken. 1998, Bertelsmann hatte eben mit Random House den größten Verlag der USA übernommen, erklärte der damalige Vorstandschef Thomas Middelhoff dem US-Publikum, der Verlag sei „eines der wenigen nichtjüdischen Medienunternehmen, die vom Naziregime geschlossen wurden“. Bücher des Verlags seien als „subversiv“ verboten worden, die Existenz von Bertelsmann gar eine „Bedrohung“ der Gleichschaltungspolitik des NS-Staats gewesen.

Eine Gegenposition vertrat schon damals der Historiker Hersch Fischler, der sich nun in den meisten Punkten von der Unabhängigen Kommission bestätigt sehen kann. Ihm dankte denn auch der aktuelle Bertelsmann-Chef Gunter Thielen in einem gestern veröffentlichten Statement: Bertelsmann akzeptiere den Kommissionsbericht „uneingeschränkt als offizielle Darstellung der Geschichte des Unternehmens“ im Dritten Reich. „Ich bedaure, dass die frühere Darstellung erhebliche Lücken und Fehler enthielt“, so Thielen. Man habe im Zweiten Weltkrieg Geschäfte gemacht, „die mit den Werten des Medienunternehmens Bertelsmann vollkommen unvereinbar sind“.

Bei allem Respekt vor der späten, aber im Vergleich zu anderen deutschen Großunternehmen offenen und konsequenten Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit bei Bertelsmann bleibt eine bittere Erkenntnis: Auch damals ging es vor allem um den wirtschaftlichen Erfolg. Als der Verlag 1944 geschlossen wurde, geschah dies, weil man in Gütersloh Papier gehortet hatte – und weitermachen wollte, um die „gewinnträchtige ideologisch konforme Produktion“ (Kommissionsbericht) auch im totalen Krieg „uneingeschränkt durchzusetzen“.