Merkel probt die neue Leichtigkeit

Die CDU-Vorsitzende flirtet weiter mit rot-grünen Themen. Damit bietet Merkel dem ewigen Konkurrenten Roland Koch zwar Raum, sich zu profilieren. Offenbar verlässt sie sich aber darauf, dass die Zeit der konservativen Kandidaten vorerst vorbei ist

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Am kommenden Wochenende will Roland Koch sich groß zu Wort melden – das seitenfüllende Interview in einer Tageszeitung ist schon verabredet. Man darf gespannt sein, was der dunkle Ritter der Union zu Angela Merkels Kurs der neuen Leichtigkeit sagt. Auf der gestrigen Präsidiumssitzung im Berliner Konrad-Adenauer-Haus fehlte der hessische Ministerpräsident, urlaubsbedingt. Und die übrigen Bannerträger des konservativen Geistes hielten sich zurück.

Entsprechend gut gelaunt trat die CDU-Vorsitzende vor die Presse. Die Präsidiumssitzung war immerhin ein erster Test für den Dreiklang, den Merkel seit knapp einer Woche als Lehre aus der Wahlniederlage predigt: den Frauen müsse sich die CDU stärker zuwenden, außerdem den Städten, wo die Union diesmal dramatisch schlecht abschnitt, und den Themen, die bisher nicht gerade im Mittelpunkt christdemokratischer Aufmerksamkeit standen. Merkel nennt da mal Verbraucher- und Umweltschutz, mal Menschenrechte, mal Entwicklungspolitik. Als sichtbares Ergebnis konnte die Vorsitzende gestern lediglich einen „Arbeitskreis Städte“ präsentieren, den sich die CDU zulegen will. Wesentlicher ist wohl, dass sie sich mit ihrer Kursvorgabe durchsetzen konnte – zunächst jedenfalls.

Einmal mehr ging sie ihre Gegner mit einem typischen Merkel-Manöver an: Sie bestreitet, die Union zu verändern, noch während sie es tut. Im neuen Spiegel hatte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm gerade erst gewarnt: „Wir dürfen das konservative Tafelsilber nicht verscheuern.“ Prompt versicherte sie ihm in der Präsidiumsrunde, eben diese konservativen Erbstücke wieder im vollen Glanze erstrahlen zu lassen. Sie werde da für „einen kleinen Silberputzprozess“ sorgen. Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel empörte sich noch vor Sitzungsbeginn über Retuschen am Erscheinungsbild der Union: „Wir wollen uns nicht umschminken lassen!“ Merkel beteuerte umgehend: „Es geht nicht um programmatische Defizite.“ Ziel ihrer Vorschläge sei doch nur, „Gesprächsfäden in die Gesellschaft hinein zu knüpfen“.

Exverteidigungsminister Volker Rühe schließlich stimmte am vernehmlichsten das Lied an, Veränderung schade der Union bloß. „Ohne Edmund Stoiber hätten wir schwächer abgeschnitten“, erklärte er, „und nach der Wahl dürfen wir die vielen Millionen Wähler nicht enttäuschen, die uns gewählt haben.“ Da wird Rühe mit Zufriedenheit vernommen haben, dass auch die CDU-Chefin vor einem „Nullsummenspiel“ warnt, bei dem man an alten Wählern verliert, was man mit neuen Themen hinzugewinnt. Weniger gut dürfte Rühe der zweite Teil von Merkels Ansage gefallen haben: „Es wäre aber auch ein Nullsummenspiel, in einer Trutzburg zu sitzen und zu klagen, dass die Wähler uns nicht verstehen.“

In ihrer zweiten Woche als Partei- und Fraktionschefin hat Angela Merkel ihre Kritiker zunächst ruhiggestellt. Das strategische Dilemma, das in ihrem Kurs steckt, hat sie damit noch nicht behoben: In dem Maße, in dem sie die CDU kulturell an eine linksliberal gesinnte Öffentlichkeit heranführt, verblasst das eigenständige Profil der Union. Noch ist völlig unklar, wie in der modernisierten Merkel-CDU „die Bausteine für ein junges, wertkonservatives Deutschland“ aussehen könnten, das Publizisten wie Welt-Vize Johann Michael Möller beschwören.

Auch schafft Merkel sich ein Problem für ihre Hoffnung auf die Kanzlerkandidatur 2006. Seit jeher steht sie innerparteilich unter dem Verdacht, eine Liberale zu sein, manche würden gar meinen eine „Linke“. Vor allem in der Konkurrenz mit ihrem Generationsrivalen Roland Koch drohte dieser Ruf ihr zu schaden. Machttaktisch setzte sie darum in der Vergangenheit eher darauf, ihre Hardliner-Positionen in den Vordergrund zu rücken. „Ich bin konservativer, als viele denken“, sagte sie oft. Davon rückt sie jetzt erkennbar ab. Roland Koch dürfte es also noch einfacher fallen, sich im Ringen um die Kanzlerkandidatur 2006 als der Verfechter einer wahren, weil konservativen Union anzubieten. Merkel dagegen rechnet offenbar damit, dass nach der Erfahrung des Stoiber-Debakels die Zeit der Traditionskandidaten fürs Erste vorbei ist. Wer sich verrechnet hat, steht wohl erst in knapp vier Jahren fest.