Der Zorn des Selbstgerechten

Gore Vidal hält Bush jr. für schlimmer als Hitler. Aber Vidal ist kein Linksradikaler, sondern glaubt an das gute Amerika und steht in der Tradition des Populismus gegen Bonzen und Bürokraten

Gore Vidal zählt zu den großen amerikanischen Polemikern, die sich aus erklärter Loyalität zu Amerika in drastische Vergleiche versteigen, die ansonsten ausländischen Amerikaverächtern vorbehalten sind. Für Vidal ist Bush jr., kurz gesagt, schlimmer als Hitler. Dementsprechend gehörte der 77-Jährige zu den Dissidenten, die sich kürzlich mit einer ganzseitigen Anzeige in der New York Times dagegen verwahrten, dass der Präsident seine militärischen Abenteuer in ihrem Namen ausführen könnte. Seinen Anspruch auf den Status eines radikalen Oppositionellen hat Vidal in vielen Büchern bekräftigt, mit mehr oder weniger gelungenen Essays (vgl. taz v. 18. 10. 2000). Jetzt hat er kurze Texte aus den Jahren 1997 bis 2001 zusammengestellt, die seinen furiosen Widerspruch gegen das amerikanische Empire dokumentieren.

Sie umkreisen zwei Terroranschläge, die Amerika ins Mark getroffen haben. Vidal führt in ihnen die Attacke vom 11. September zurück auf den Bombenanschlag gegen eine Bundesverwaltung in Oklahoma City am 19. April 1995, bei dem 168 Beamte und Passanten zu Tode kamen. Alleintäter war nach Ansicht der amerikanischen Justiz Timothy McVeigh, den Vidal in einer Hinsicht mit Ussama Bin Laden gleichsetzt: “Beide waren aufgebracht über die rücksichtlosen Anschläge unserer Regierung auf andere Gesellschaften …“ Bin Laden und McVeigh wurden provoziert, sie haben grausam zurückgeschlagen.

Mit dem inhaftierten McVeigh hat Gore Vidal sogar einen, für viele Amerikaner schockierenden, Briefwechsel geführt: McVeigh ging es demnach zunächst um Angriffe der US-Regierung auf die eigene Gesellschaft, vor allem die vielfältigen Freiheitsberaubungen im „Kampf gegen die Drogen“, der nahtlos in den „Kampf gegen den Terror“ überging. In einer Hinsicht geht Vidal mit dem Massenmörder McVeigh völlig daccord: dass sich amerikanische Bundesbehörden, allen voran das FBI, die Oberste Finanzverwaltung IRS und die Bundesbehörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen ATF in einer ans Totalitäre grenzenden Weise in die Privatsphäre der Amerikaner einmischen und damit ständig uramerikanische Werte und Verfassungstexte mit Füßen treten.

Vidal stuft seinen Brieffreund McVeigh, einen 1968 geborenen Farmersohn und Golfkriegsveteranen, als Spinner ein und hat für seine Sympathien mit der christlichen Ultrarechten nur Spott übrig. Aber auch er sieht ein Fanal in den beiden Ereignissen, die McVeigh und Gleichgesinnte zu ihren Wahnsinnstaten veranlassten: Ruby Ridge und Waco. 1992 wurden Kind und Hund eines Rechtsradikalen von FBI-Scharfschützen erledigt, der sich auf eine Farm in Ruby Ridge im Bundesstaat Idaho zurückgezogen hatte und einer Vorladung wegen unerlaubten Waffenbesitzes nicht Folge leisten wollte. Ein Jahr später veranstalteten ATF und FBI das „größte Massaker an Amerikanern durch amerikanische Bundesbeamte seit dem Feuerwerk am Wounded Knee im Jahre 1890“. Sie stürmten nach 51-tägiger Belagerung die Farm einer Adventistensekte im texanischen Waco. Dabei starben 81 der „Davidianer“, darunter 30 Frauen und 25 Kinder. Alle gegen die Sekte in den Medien ausgebreiteten Vorwürfe - Drogenhandel, Pädophilie, Waffenbesitz - wurden nie vor Gericht geklärt, und Bill Clintons Justizministerin Janet Reno setzte den eklatanten Verfassungsbruch mit der verständlichen Überreaktion von Generälen im Zweiten Weltkrieg gleich.

Den Weltkriegsveteranen Vidal treiben solche Vergleiche zur Weißglut, und wenigstens darin fühlt er sich dem enttäuschten Golfkrieger McVeigh seelenverwandt. Er verteufelt ihn nicht nach Art der konformistischen Medien als satanischen Einzeltäter, sondern stellt die skandalöse Frage nach dem Warum? Die Antwort: Die verabscheuungswürdige Tat war keine simple Rache für Waco, sondern eine fehlgegangene Rebellion gegen die Perversion amerikanischer Werte, auf die sich amerikanische Ultrarechte immer wieder beziehen. Mit dieser Argumentation ist es Vidal gelungen, Amerika ausgerechnet mit seinem schlimmsten Feind den Prozess zu machen. Denn auch er trauert dem traditionellen, ländlichen Amerika nach, das dank der Agrarindustrie verschwunden ist.

Ganz ähnlich, aber weit schwächer argumentiert Vidal in den Kommentaren zum 11. September: Die Dämonisierung Bin Ladens und der „Schurkenstaaten“ lenke von der fälligen Ursachenanalyse ab, warum die Welt Amerika hasst. Vidal wartet dazu mit nicht viel mehr als einer 13-seitigen Liste vergangener und laufender militärischer Auslandseinsätze der USA in allen Weltregionen auf, wobei die Berliner Luftbrücke und „Determined Effort“ in Bosnien unvermittelt neben “Rolling Thunder“ in Vietnam und „Urgent Fury“ in Grenada stehen. So wie Bush nur noch „Wir oder sie!“ ausruft, kommt für Vidal als Motiv für die Bombardierung Afghanistans nur das Interesse der Ölmultis in Frage. Das ist ebenso provinziell wie die von ihm angeprangerten Landsleute, die sich auch keine Aktion vorstellen können, die nicht von Amerika ausgeht oder auf seine Übermacht reagiert.

Das „so was von so was“ kommt und der 11. September die verdiente Strafe für die Weltherrschaftsgelüste der „Junta“ (alias Pentagon) sei, haben wir schon gehört. Vidal ist kein Linksradikaler, er glaubt an das gute Amerika und steht damit in der Tradition des Populismus, der gegen die Bonzen und Bürokraten daheim und alle Abenteuer draußen in der Welt Sturm läuft. Aus dieser Tradition kommt der zäheste Widerstand gegen die imperiale Selbstüberhebung, die Amerika bald Kopf und Kragen kosten kann; sie ist auch die einzige Quelle des Protests gegen die soziale Ungleichheit in den Vereinigten Staaten, die eine derartige Militärmacht erst ermöglicht. Vidals Dilemma ist aber, dass ihm das amerikanische Volk, aus dessen angeblicher Vernunft der Populismus seine ganze Daseinsberechtigung zieht, derzeit nicht zu folgen bereit ist. Er zieht dafür die „imperiale Presse“ zur Verantwortung, angeführt von der New York Times und angereichert durch linke Zeitschriften wie The Nation, wenn sie einmal nicht bereit sind, ein Schwarz-Weiß-Gemälde aus seiner Feder abzudrucken. CLAUS LEGGEWIE

Gore Vidal: „Ewiger Krieg für ewigen Frieden. Wie Amerika den Hass erntet, den es gesät hat“. EVA, Hamburg 2002. 132 Seiten, 13 EUR