Global glaubwürdig

Ulrich Beck unternimmt den etwas hochtrabenden, doch sympathischen Versuch, uns die nationalen Borniertheiten auszutreiben

von ROBERT MISIK

„Kosmopolitismus, … auf das Wohl der Menschheit gerichtetes ideales Streben, das meist eigenes Volk und Vaterland zu kurz kommen läßt.“Meyers Lexikon, Ausgabe 1927

An diesem schlechten Image hat sich seither nicht viel geändert. Für die Rechte verkörpert der Kosmopolit die heimatvergessene Wurzellosigkeit, der alten Linken gilt er bestenfalls als gutmeinender Querkopf, der es zum proletarischen Internationalismus nicht gebracht hat, und für die Realpolitiker aller Couleur ist er ein sympathischer Utopist ohne Wirklichkeitssinn.

Umso erstaunlicher die Prophezeiung des Münchner Soziologen Ulrich Beck, dass ein „selbstkritischer Kosmopolitismus“ drauf und dran sei, die „nächste große Idee“ zu werden. „Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter“, heißt sein neues Buch und möchte nicht weniger, als Politik wie Sozialwissenschaft, ja, der Weltbetrachtung als Ganzes, einen neuen Kontinent erschließen: Verkündet wird die Geburtsstunde einer „Neuen Kritischen Theorie in kosmopolitischer Absicht“.

Puh! Das ist alles ein wenig hochtrabend, wie – ist man versucht zu sagen: wie es eben Becks Art ist. Alle paar Jahre ruft Beck eine neue Epoche aus oder begründet eine neue Theorie. Von der „Risikogesellschaft“ (1986), schwang er sich zur „Theorie reflexiver Modernisierung“ („Die Erfindung des Politischen“, 1993), kurz darauf begründete er die „Zweite Moderne“, dazwischen produzierte er am laufenden Band zeitdiagnostische Stichworte, die sich tief einfräsen in die Diskurse, bis sie aus gepflegten Konversationen nicht mehr wegzudenken sind („Der feindlose Staat“, 1993). Zwischendurch wirkt er in den Zukunftskommissionen der aufgeklärten Konservativen und ruft, wie unlängst, zur Wahl von Rot-Grün auf. Nicht wenige in der Soziologenzunft rümpfen über Beck die Nase.

Damit haben sie Recht und Unrecht zugleich. Dass Beck sich auf die Kunst versteht, trockene soziologische Abhandlungen mit wuchtigen und eingängigen Überschriften aufzumotzen, ist unbestreitbar. Er ist da ein Marketingagent seiner Theorien. Selbst wenn er nur die internationale Debatte referiert und Thesen neu kompiliert, geht das nicht ohne Trara. Andererseits hat er eine Witterung für Trends: Schlüsselbegriffe prägen, Tendenzen in eine Pointe verdichten kann nur, wer diesen Tendenzen einen halben Schritt voraus ist. Und dass Beck diese Fähigkeit in der Regel mit einer pädagogischen Absicht verbindet, sich um die Verbreitung seiner Thesen über den engeren Kreis der sozialwissenschaftlich Interessierten bemüht, sollte nur in der Welt verbiesterter Mandarine disqualifizieren.

Becks Schlüsselthese nun ist: Eine Renaissance des Politischen ist möglich, wenn wir uns nur unserer Borniertheiten entledigen. „Realitätsveränderung setzt Blickveränderung voraus.“ Beck stellt gewissermaßen Marx auf den Kopf. Es kommt also drauf an, die Welt neu zu interpretieren.

Beck will vor allen Dingen zeigen, dass der „nationale Blick falsch wird“. Ursache unserer gegenwärtigen Malaise ist demnach, dass sowohl Politik als auch (Politik- und Sozial-)Wissenschaft diesem falschen Blick weiter verhaftet sind. Nur aus dieser nationalen Perspektive „stirbt“ die Politik, verfangen sich die Staaten in eine Abwärtsspirale, um sich „fit“ zu machen für die Weltmarktkonkurrenz, und werden somit zum neoliberalen Markt-Staat. Kosmopolitische Bündnisse und die Perspektive einer Transnationalstaatlichkeit können demgegenüber der Politik neue Machtchancen eröffnen.

Das klingt jetzt alles wie vielfach gehört. Die Stärke von Becks Buch, das zur Hälfte eine Studie, zur Hälfte eine Art Manifest ist, gründet aber in zweierlei: Einerseits formuliert Beck die Kritik an der Epoche vom Boden der Epoche aus. Er markiert damit einen Standard, der sich von der Kritik, wie sie in den späten Neunzigerjahren formuliert wurde (etwa in Büchern wie der „Globalisierungsfalle“), deutlich unterscheidet und wie er in verwandter Weise auch in den vieldiskutierten Studien von Manuel Castells („Das Informationszeitalter“) oder Michael Hardt und Toni Negri („Empire“) erreicht ist.

In Abgrenzung zu diesen Autoren legt Beck zweitens sein Hauptaugenmerk auf die Machtstrategien verschiedener Akteure: der Staaten, der Staatenbünde, der globalisierten Konzerne, der transnationalen Organisationen, der globalen Zivilgesellschaft. Beck arbeitet dabei einige Tendenzen heraus, auch wenn er notgedrungen ein großes Wirrwarr an flexiblen Allianzen verschiedener Akteure, an strategischem Handeln wie auch an unbeabsichtigten Folgen von Handlungen erkennt (putzig übrigens, wie leicht es der Soziologie gelingt, die chaotische Unübersichtlichkeit ins Positive zu wenden, sobald sie sie mit dem Begriff der „Pluralisierung“ beschreibt). Durchaus freimütig räumt er an einer Stelle ein, dass er für die Hypothese einer Tendenz zur transnationalen Wiedergeburt des Politischen „nur anekdotische Evidenzen“ anzuführen vermag. Etwa die schrittweise Etablierung eines transnationalen Rechtsraumes (Beispiel: Fall Pinochet), das Abenteuer der Erprobung transnationaler Staatlichkeiten (Europäische Union), die „Vollendung der Globalisierung mit den Mitteln des Widerstandes“ (Attac und andere „Antiglobals“).

Im Einzelnen wartet Beck mit durchaus erhellenden Beobachtungen und Thesen auf: Etwa, wenn er selbst noch im regionalistischen Furor des französischen Bauernführers José Bové die Spuren des Kosmopolitischen endeckt, weil der das Nationale regional unterläuft und sich über Kontinente hinweg mit Gleichgesinnten zusammentut. Bemerkenswert sind auch die Momente asymmetrischer Machtstrategien, die Beck analysiert: Die globalisierten Zivilbewegungen verfügen demnach über eine Legitimität, die staatliche Politik zunehmend verliert (weil sie im Nationalen wirksame, aber global verursachte Probleme nicht mehr effektiv zu lösen vermag) und internationale Konzerne gar nicht haben können. Diese Legitimität lässt sich nämlich nicht durch demokratische Verfahren herstellen, sondern nur durch Glaubwürdigkeit.

Überhaupt gewinnt Becks Buch in der zweiten Hälfte deutlich an Fahrt. Gegen Ende steigert er sich schier in einen Lobgesang auf die globalisierungskritische Bewegung, in der er den Nukleus einer „kosmopolitischen Linken“ ausmacht. Dass Beck dabei immer wieder zwischen realen Tendenzen und Postulaten, auf nichts begründeten Hoffnungen changiert, mögen die Strengen seiner Zunft mit Recht für wissenschaftlich unsauber halten – sympathisch ist dieses Plädoyer für eine kosmopolitische Linke dennoch.

Ulrich Beck: „Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002. 478 S., 15 €