Vatermord oder freier Fall?

Ein antisemitischer Indizienprozess: Martin Pollack über den Justizskandal um den Fotografen Philippe Halsman

Noch immer sind seine Fotos von Marilyn Monroe, die er in den 50er-Jahren für Life machte, in jedem Postershop zu haben. Und die Aufnahme, wie sie Hand in Hand mit ihrem Fotografen für dessen „Jump Book“ in die Luft springt, gehört zu den Ikonen der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Als der Bildband, in dem zahllose andere Prominente in derselben ebenso fröhlichen wie lächerlichen Pose abgebildet waren, 1959 erschien, zählte Philippe Halsman zu den berühmtesten Porträtfotografen seiner Zeit. 1906 wurde er als Philipp Halsmann in Riga geboren, liest man in den biografischen Daten. Als er 1940 von Paris aus, wo er als Fotograf für Vogue und Vue Karriere gemacht hatte, in die USA emigrierte, war es Albert Einstein, der ihm sein Visum verschaffte.

Dass sich Albert Einstein allerdings schon einmal für ihn eingesetzt hatte, liest man freilich nirgends. Denn über das andere Leben des Starfotografen Philipp Halsmann, als Opfer eines Justizskandals, war lange Zeit nicht viel bekannt. Es handelt sich um eine Geschichte, die in seinem späteren Exil True Crime Story heißen würde. Jetzt hat sie der österreichische Autor und ehemalige Spiegel-Korrespondent Martin Pollack penibel recherchiert und nüchtern, doch detailreich und dazu äußerst spannend nacherzählt.

An einem schönen Spätsommertag des Jahres 1928 unternehmen der 48-jährige Zahnarzt Morduch Max Halsmann und sein 22jähriger Sohn Philipp eine Wandertour im Tiroler Zillertal. Auf dem Rückweg nach Mayrhofen stürzt der Vater an einer eigentlich ungefährlichen Stelle ab. Sein vorausgehender Sohn findet ihn und versucht ihn vergeblich zu bergen. Dann holt er Hilfe. Die eintreffenden Helfer finden Morduch Max Halsmann tot auf, gleichzeitig stellen sie fest, dass er erschlagen wurde, ein Befund, der sich mit der Obduktion decken wird. Doch sonst ist die Untersuchung des Tatorts mangelhaft. Zwar wird schnell festgestellt, dass Blutspritzer, die an Körper und Kleidung der Mörders sein müssten, bei Halsmann nicht zu finden sind, doch erst spät wird bemerkt, dass ein namhafter Geldbetrag fehlt, den der Tote bei sich getragen hat. Philipp Halsmann wird unter Mordverdacht festgenommen. Er bleibt dabei: Der hinter ihm gehende Vater müsse gestürzt sein, er habe ihn nicht erschlagen. Gleichzeitig bezweifelt er, ein Dritter könne die Tat begangen haben, denn weit und breit habe er niemanden gesehen. Es kommt zu einem Indizienprozess, in dem der Sohn wegen Mordes zu zehn Jahren Kerkerhaft verurteilt wird.

Freilich gaben die Indizien ein solches Urteil nicht her. Wohl aber die antisemitische Stimmung, die in Tirol herrschte. Schon 1919 hatte sich der „Tiroler Antisemiten-Bund“ gegründet, der den Kampf gegen das „geeinigte Judentum“ aufnahm: „Verjudet“ und „rot“ war Wien, aus dem Halsmanns Verteidiger kam. „Verjudet“ war die Presse, die über den Prozess und die Ressentiments, die ihn beherrschten, berichtete. In der kritischen Öffentlichkeit galt der Fall Halsmann bald als österreichischer Dreyfuss-Skandal, vor allem, nachdem Halsmann in einem zweiten Prozess nicht freigesprochen, sondern wegen Totschlags zu nun vier Jahren verurteilt wurde. Thomas Mann korrespondierte über den Fall mit Sigmund Freud. Albert Einstein schickte ein Gnadenersuch an Bundespräsident Miklas. 1930 schließlich kam Halsmann frei.

1991 kam der Fall noch einmal in die Zeitung. Der Kopf von Morduch Max Halsmann, der immer noch im Gerichtsmedizinischen Institut der Universität aufbewahrt worden war, sollte mit seinen seit 1928 begrabenen sterblichen Überresten vereint werden. Die Meldung regte Pollack zu seiner fesselndes Rekonstruktion des Falles Philipp Halsmann an. BRIGITTE WERNEBURG

Martin Pollack: „Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann“. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002. 324 S., 21,50 €