Koalition will Niedriglohnjobs

Während die Arbeitslosenzahl leise sinkt, beschließt die Koalition einen Niedriglohnsektor für Frauen in Haushalts-, Betreuungs- und Pflegeberufen. Clement bekommt die Grundsatzabteilung und muss die Sozialversicherungen abgeben

von HANNES KOCH

Einen Niedriglohnsektor in allen Branchen der Wirtschaft wird es vorerst nicht geben. In ihren Koalitionsverhandlungen einigten sich SPD und Grüne gestern darauf, schlecht bezahlte Teilzeittätigkeiten nur im Bereich der „haushaltsnahen Dienstleistungen“ zu fördern – also bei Frauentätigkeiten. Damit setzten sich bei diesem Thema im Wesentlichen die Sozialdemokraten durch.

Gestern stand ab Mittag der Komplex „Wirtschaft und Arbeitsmarkt“ auf der Agenda. Vornehmlich ging es dabei um die Verwirklichung des Konzeptes, das VW-Vorstand Peter Hartz im Auftrag von Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte entwickeln lassen. Die Hartz-Vorschläge zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sehen unter anderem die Förderung eines Niedriglohnsektors vor. Für Arbeiten mit Verdiensten bis 500 Euro brutto im Monat sollen Putzfrauen und Haushaltshilfen künftig nur 22 Prozent Sozialversicherung bezahlen, nicht über 40, wie normal. Diese Tätigkeiten lohnen sich dann eher, so das Kalkül – es entstehen mehr Arbeitsplätze. Als Achtungserfolg können die Grünen allenfalls verbuchen, dass die SPD einräumt, den Begriff „haushaltsnahe Dienstleistungen“ möglichst weit zu fassen. Nicht nur Tätigkeiten von Haushälterinnen und Haushaltshilfen sollen darunter fallen, sondern auch Kinder- und Altenbetreuung. Von der Forderung, auch die Gastronomie und die Medienwirtschaft mit ihren Zeitungausträgern einzubeziehen, haben die Grünen Abstand genommen.

Die SPD war auf eine kompromisslose Haltung festgelegt, weil der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di signalisiert hatten, dass sie gegen die Ausdehnung des Niedriglohnsektors protestieren würden. Die Arbeitnehmerorganisationen befürchten die Deregulierung und Herabstufung bestehender Lohnverhältnisse. Sie nehmen in Kauf, dass weniger Jobs entstehen als möglich.

SPD und Grüne verhandelten an dem Tag, da die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ihre neuesten Zahlen bekannt gab: Die Arbeitslosenquote ist nur minimal gesunken. Sie lag im September bei 9,5 Prozent, nach 9,6 im August. 3,94 Millionen Menschen waren ohne ausreichende Erwerbstätigkeit – 76.400 weniger als im Vormonat. Gegenüber dem September des Jahres 2001 ist die Zahl der Erwerbslosen jedoch um 198.800 gestiegen.

Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt, führte den leichten Rückgang auf das Hochwasser in Ostdeutschland und die entsprechenden Reparaturarbeiten zurück. Auch das Job-Aqtiv-Gesetz, das Erwerbslosen nach kurzer Zeit eine neue Stelle verschaffen soll, habe dazu beigetragen, so Gerster.

Eine entscheidende Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt sieht aber weder die Bundesanstalt noch die Wirtschaftsforschung voraus. Das unternehmerfreundliche Institut der Wirtschaft (IW) hält dieses Jahr eine Belebung der Konjunktur für unwahrscheinlich. Das Wachstum werde beinahe stagnieren, die Arbeitslosigkeit auch im kommenden Jahr nur wenig abnehmen.

Derweil nimmt sich Rot-Grün viel Zeit, über Kompetenzen in Ministerien zu diskutieren. Der zukünftige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) darf sich freuen, eine ganze Abteilung aus dem Finanzministerium zurückzubekommen. Die Grundsätze der Wirtschaftspolitik und die Konjunkturprognosen werden in Zukunft unter Clement verhandelt. Dies sei angeblich schon „vor Wochen“ beschlossen worden, erklärte gestern SPD-Fraktionschef Franz Müntefering.

Abgeben muss der designierte Bundesminister Clement wohl dagegen in Richtung Gesundheitsministerium. Die Verantwortung für die Sozialversicherung soll in dieses Ressort verlagert werden, um dort das neue Sozialministerium entstehen zu lassen. Dies würden die Verhandlungsdelegationen erwägen, so wurde gestern Nachmittag erklärt. Ein Koloss aus Wirtschaft, Arbeit und Sozialordnung wäre sonst kaum zu handhaben, heißt es aus den Kreisen der rot-grünen Verhandler.