Traumschöner Bilderbogen

Erinnerungen zwischen Glasfläschchen und Tonskulpturen: Álvaro Restrepo und seine Companía Athanor Danza gastieren mit der groß angelegten Choreographie „Tetralogia – Una Vision de Colombia“ wieder auf Kampnagel

Den kolumbianischen Choreographen und Tänzer Álvaro Restrepo könnte man durchaus einen Anthropologen des Tanzes nennen. In den Mythen und Riten der Naturvölker sucht er nach dem Schlüssel, der ihn in seiner Kunst zu etwas wie „Wahrheit“ führt. „Viel zu lange haben wir dieses Wissen als primitiv abgetan“, sagt er.

Mit Forscherdrang begab er sich daher auf Spurensuche und schuf vor gut einem Jahr mit Tetralogia – Una Vision de Colombia (Eine Vision von Kolumbien“ sein bislang umfassendstes choreographisches Werk. Das vierstündige Tanzspektakel in vier Solo-Akten für zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer, ihn selbst eingeschlossen, wurde beim Laokoon-Festival im Jahr 2001 mit großem Erfolg uraufgeführt. Ein traumschöner Bilderbogen einer mythischen Weltsicht verzauberte damals das Publikum, hatte aber leider nur wenige Aufführungen.

Da Restrepo und Marie-France Delieuvin, eine der Darstellerinnen, zurzeit in Hamburg an einem Tanzprojekt mit Jugendlichen, Chat, arbeiten, das Ende des Monats Premiere hat, entschloss man sich zu einer Wiederaufnahme des von Kampnagel koproduzierten Stücks.

Das Bühnenbild fügt sich aus unzähligen kleinsten Gegenständen zusammen. Entlang der Objekte entwickelt sich die Dramaturgie, weshalb Restrepo das Stück auch als Tanzinstallation bezeichnet. Glasfläschchen, Tonskulpturen und dazwischen Fundstücke, in die sich die Spuren der Zeit eingefräst haben, wie in die weiße Koralle, gewachsen in Windungen, ähnlich dem menschlichen Gehirn.

Seelenlandschaften entwirft Restrepo hier, mit Hilfe des wundervollen Lichts von Sergio Pessanha. Mit blutendem Herzen wird der schwarze Mann da eins mit der dunklen Erde. Den brutalen Missionen der katholischen Kirche stellt sich eine Frau mit entblößter Brust im feuerroten Kleid.

Cartagena de Indias, die im spanischen Kolonialstil erbaute Stadt am Karibischen Meer, ist Restrepos Heimat. Hier leitet der 44-Jährige heute neben seiner Companía Athanor Danza das karitativ-künstlerische Jugendprojekt El Punte (Die Brücke), eine Tanzschule für die Kinder der Ärmsten, nicht zuletzt, um ihnen Würde und Selbstachtung zurückzugeben.

Die Verletzlichkeit des Körpers ist es, aus der Álvaro Restrepo immer wieder die Kraft für seine Bilder schöpft. Seine Kunst setzt auf eine Aussöhnung der Kulturen und rührt dabei an etwas tief Menschliches. Mit seinen magisch-rituellen Tanzgedichten hat sich Restrepo in ganz Europa einen Namen gemacht. Kampnagel ist er seit 1992 verbunden, als er für sein Solo Rebis beim Internationalen Sommertheater Festival den Mobil-Pegasus-Preis erhielt. Marga Wolff

Athanor Danza/Companía Álvaro Restrepo: Tetralogia - Una Vision de Colombia. 10. bis 12. 10. jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel, k1