Eine Bugwelle von Streitpunkten

Die Koalitionsverhandlungen werden schwierig: Ein halbes Dutzend Konflikte alleine in der Energiepolitik. Grüne wollen das AKW Obrigheim entgegen der Zusage des Kanzlers bald abschalten. Strittig außerdem: Emissionshandel und Klimaschutzziel

von HANNES KOCH

Je länger die Koalitonsverhandlungen zwischen SPD und Grünen dauern, desto mehr Auseinandersetzungen gibt es. Die Koalitionäre schieben mittlerweile eine Bugwelle ungelöster Probleme vor sich her – und heute geht es beim Thema „Energiepolitik“ so richtig zur Sache. Die Streitliste reicht vom Atomkraftwerk Obrigheim über den Emissionshandel bis zur Zielvorgabe für den Klimaschutz.

Wenn heute die SPD-Verhandler Hans Eichel und Wolfgang Clement sowie die Grünen Fritz Kuhn, Jürgen Trittin und Rezzo Schlauch ihre Spezialsitzung zur künftigen Energiepolitik abhalten, müssen sie erst einmal über eine Altlast reden. Das baden-württembergische Atomkraftwerk Obrigheim soll nach Willen des Betreibers EnBW noch mehrere Jahre am Netz bleiben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dieser Ausnahme vom rot-grünen Atomkonsens zugestimmt. Doch grüne Politiker kündigen nun an: „Das Thema hängt sehr hoch, es wird mit aller Kraft verhandelt.“ Die Grünen wollen erreichen, dass Obrigheim wie geplant im Frühjahr 2003 abgeschaltet wird.

Das alte AKW ist auch deshalb ein so „zentrales Thema“ für die Umweltpartei, weil viele Spitzengrüne – unter anderem Fritz Kuhn und Rezzo Schlauch – aus Baden-Württemberg kommen und dort demnächst Landtagswahlen anstehen. Unklar ist bislang, ob auch Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) der Ausnahmeregelung für Obrigheim zugestimmt hat – was Trittins Sprecher Michael Schroeren bestreitet – oder nur davon in Kenntnis gesetzt wurde. Dass EnBW den Ausnahmeantrag direkt nach der Bundestagswahl beim Bundesumweltministerium einreichen wollte, scheint dem Hause Trittin allerdings schon länger bekannt gewesen zu sein. Das Thema ist so kompliziert, dass mit einer Einigung heute noch nicht zu rechnen ist.

Nicht einigen können sich SPD und Grüne bislang außerdem über den Emissionshandel. Die Bundesregierung muss bald Stellung beziehen zu einer Richtlinie der Europäischen Union, die den Wirtschaftsunternehmen bestimmte Schadstoffmengen zurechnet, um dadurch einen ökonomischen Hebel für den Klimaschutz zu erzeugen. Die Grünen plädieren dafür, dass die Bundesregierung den Emissionshandel im Prinzip unterstützt, in der SPD gibt es dagegen starke Kräfte, die das ganze Verfahren ablehnen.

Weiterer Streitpunkt: das Ziel, den deutschen Ausstoß von Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Während die SPD es eher ablehnt, konkrete Zahlen in das Koalitionspapier hineinzuschreiben, wollen die Grünen die Verschärfung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung unbedingt festlegen.

Und wenn es um die Förderprogramme für regenerative Energie geht, befürchten manche grüne Verhandler, dass „alles noch sehr bitter werden kann“.

Marktanreizprogramm für Windkrafträder und Fotovoltaikzellen, Altbausanierung, Forschungsförderung? Über allem schwebt letztlich das Damoklesschwert von Finanzminister Hans Eichel – die Stunde der Wahrheit und des Geldes schlägt am kommenden Sonntag.

Einigkeit zwischen Sozialdemokraten und Grünen besteht bislang immerhin darüber, die regenerativen Energien weiter auszubauen. Ob sich das freilich als Formulierung in der Koalitionsvereinbarung wiederfindet, steht auch noch in den Sternen.

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