Du musst dein Leben ändern

Gottsucher und Weltenretter, die kritische Vernunft und die Aufklärung: In seinem Stück „Merlin“ ließ Tankred Dorst sie alle als Ritter an der Tafelrunde Platz nehmen. Burkhard C. Kosminski hat das Lehrstück für die Schaubühne unterhaltsam umgesetzt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Als die großen Erziehungsprojekte der Nachkriegszeit ihre hoffnungsvollen Blüten trieben, traute sich auch das Theater plötzlich wieder zu, Zynismus und Fatalismus zu trotzen und an das Veränderbare im Zuschauer zu appellieren. „Du musst dein Leben ändern“ – Merlin, der große Zauberer, schreibt es für Parzival, den naiven Gottsucher, einmal an die Wand in „Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst. In der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski an der Schaubühne löst sich die Schrift aus Licht ganz schnell in Wellen aus Wasser auf. Die Einsicht, das gute Vorhaben, man kennt das ja, werden eingeholt von etwas, das sich hartnäckiger als jede Vernunft im Handeln eingenistet hat.

Vor zwanzig Jahren schrieben Tankred Dorst und seine Frau Ursula Ehler „Merlin oder Das wüste Land“, das Stück wurde seither über 60 Mal inszeniert. Vor allem Regisseure aus dem Osten Europas fanden in der Geschichte vom Scheitern der Utopie und der Rückkehr der Macht des Tragischen Stoff, die eigene Gegenwart zu verhandeln. Das Drama mit 97 Szenen bietet sich wie ein Satz Tarot-Karten an, mit Bildern aus einer fernen Zeit auf Konflikte des Heute zu verweisen. Wenn die Ritter der Tafelrunde über die Möglichkeiten eines neuen Anfangs streiten und einige fürchten, nie aus den Altlasten von Schuld und Rache herauszukommen, fallen einem gleich die passenden Schlagzeilen dazu ein.

Die kritische Vernunft und die Aufklärung, sie werden von Merlin und seinem Freund, König Artus, verkörpert, die an dem Ideal einer gerechten und friedlichen Welt bauen. „Der Löwe frisst Gras!“, staunt der König und traut sich kaum, der eigenen Vision zu glauben. Er will die Zäune niederreißen und das Land verteilen.

Aber schon in seinem Sohn Mordred schlägt das Projekt fehl und atavistische Muster setzen sich durch: eine Dialektik der Aufklärung mit verteilten Rollen. Mordred bringt das Verdrängte an den Hof zurück, die verheimlichten Liebschaften und die verstoßenen Kinder. Er will das Unbedingte und Absolute: Liebe statt Gerechtigkeit, Erlösung statt Frieden, und wenn er das als Märtyrer nicht finden kann, weil Gott und die Engel weit weg sind, dann eben auf dem Weg über das Böse und die Bestrafung.

Für Burkhard C. Kosminski, Regisseur am Schauspielhaus Düsseldorf, ist „Merlin“ die erste Inszenierung an der Schaubühne Berlin. Und er beweist, dass eine solide Dramaturgie, die aus dem überquellenden Mythos einige Erzählstränge klar herauszieht, zusammengehen kann mit einer angepunkten Ästhetik. Ritter und Irokesenschnitt, Rüstung und Tatoo, zerrissene Strümpfe und Kettenhemd, das passt sehr schick und steht besonders den Männern sehr knackig. Ansonsten scheint man froh, die Sache unterhaltsam und spannend gepackt zu haben, was bei dreieinhalb Stunden Spieldauer schon eine Leistung ist. In einzelnen Szenen, wie Medaillons eingeschlossen in das mythische Gewebe, gelingen dabei anrührende Einstiege in die spekulativen Gebäude von Weltverbesserern und Gottsuchern. Das ist für eine Zeit, in der beides aus der Mode gekommen ist, schon erstaunlich ist.

Falk Rockstroh spielt Merlin, den Sohn des Teufels. Weil er entgegen der Logik seines Vaters Freiheit nicht als Werkzeug der Begierden nutzt, sondern als Spielraum der Vernunft begreift, braucht er keine Zaubertricks. Unaufgeregt, leicht amüsiert über die teuflischen Anstrengungen des Vaters, zum Heldentum so wenig wie zum Leiden aufgelegt, ist Rockstrohs Merlin ein sympathischer Intellektueller. Man hört ihm gerne zu in seinen intelligenten Gesprächen. Seine jungen Gegner aber, die Gier mit Kraft verwechseln, wollen mehr Action, und sei es ein Muttermord. Der wird als Farce inszeniert, als leicht verklemmte und kalauernde Groteske um sexuelle Begierden und Tabus, gegen die kein Argumentieren hilft. Das ist sehr witzig und sehr grausam ins Bild gesetzt. Für sich gesehen funktioniert diese Comicebene der Inszenierung. Aber sie findet kaum Anschluss zu den diskursiven Szenen. So stehen die Erfüllung tragischer Muster und ihre kritische Kommentierung unvermittelt nebeneinander. Daran scheitert Merlin, aber auch die Inszenierung.

Kosminski hat seine Fassung in einen schönen melancholischen Rahmen gepackt. Blanchefleur und Parzival, ein alt gewordenes Königspaar, streiten um die Erinnerung. Hat er die Gralsburg nun gefunden oder nicht? Er weiß es nicht mehr, und das ist eben für sie der Beweis, dass er dort gewesen ist, wo die irdischen Konflikte keine Rolle mehr spielen. Der Verlust des Gedächtnisses als Erlösung von allem? So hat man sich das eigentlich nicht vorgestellt.

„Merlin oder Das wüste Land“, Schaubühne am Lehniner Platz, am 12./13., 15./16. und 18./19. Oktober 19.30 Uhr