Alles über Hühnerhygiene

Das litauische Fernsehen hat Probleme, sendet aber ein tierisch gutes Programm

An ein geregeltes Fernsehprogramm ist nicht zu denken: „Wenn Strom da, wir senden.“

„Nix Strom, nix TV“, so bringt Arkadi Saufauskas (73), Programmdirektor des litauischen Staatsfernsehens LiTV, das Problem auf den Punkt, mit dem die Fernsehmacher in Litauen vor allem zu kämpfen haben: den Mangel an Elektrizität. Neben den täglichen Stromsperren von 22 bis 8 und von 14 bis 17 Uhr, kommt es auch zu den übrigen Tageszeiten immer wieder zu plötzlichen Spannungsabfällen und unvorhergesehenen Zusammenbrüchen in der Stromversorgung. An ein geregeltes Fernsehprogramm ist nicht zu denken. „Wenn Strom da, wir senden. Wenn kein Strom da, wir senden nicht“, beschreibt Saufauskas die eher wackeligen Eckpfeiler für seine Programmgestaltung.

Momentan ist kein Strom da. Wir sitzen bei Kerzenlicht und einem kleinen Ascheimerfeuer in der Kantine des litauischen Staatsfernsehens und lassen uns einen Teller kalten Graupenschleim schmecken. Dazu gibt’s eine zähe Leprawurst und den obligatorischen Kartoffelwein, der nach Landessitte mit einer hölzernen Schöpfkelle aus einem fassartigen Tischbottich in die bauchigen Gurkengläser abgefüllt wird, die uns als Trinkgefäße dienen. Die alte russische Kopf-ab-Kommandantur Oslos, in der sich heute neben der Kantine auch der Redaktionsraum, das Studio und die Sendezentrale von LiTV befinden, liegt in einer der unwirtlichsten Gegenden der litauischen Hauptstadt, dem stets smogverhangenen Stadtteil Kääsemauki. Durch die Ritzen der vernagelten Fenster dringt der Gestank der nah gelegenen staatlichen Pferdekadaververwertungssanstalt.

Saufauskas, der das Fernsehhandwerk beim sowjetischen Komsomolzen-Sender Dawai im sibirischen Njemski-Dnjeperpodrowsk erlernte, geht mit uns seinen heutigen Sendeplan durch. „Wenn Strom gleich da, dann wir zeigen erst mal Service-TV: Saubermachen von Hühner-Popo bevor …“ – er deutet das internationale Zeichen für Geschlechtsverkehr an – „… verstähen? Danach ‚Bronko‘, schöne alte bulgarische Mantel- und Degenfilm, anschließend Spott.“ – Spott? – „Football!“ Saufauskas wedelt mit einer klobigen und reichlich abgewetzten Video-2000-Cassette, die er aus seiner speckigen Aktentasche („Meine Archiv!“) hervorgekramt hat: „Kommt immer gutt an bei litauisches Publiko: schönste Fouls aus UdSSR-Oberliga, Saison 1965.“ Zur „Prime-Time“ ab acht Uhr abends hat der Programmdirektor heute einen, wie er sagt, „Läckerbissen“ anzubieten: „ZDF-Magazin. Sendung aus Aprill 1971, in Original. Sähen Leute serr gerrn.“ Insgesamt 100 Ausgaben des Löwenthal’schen Politmagazins stehen LiTV zur freien Sendeverfügung. Eine großherzige Spende des ZDF. Die zackig-schrille Titelmusik des altdeutschen Politmagazins gilt nach 75 Ausgaben, die LiTV mittlerweile in die rund 1.000 litauischen Fernsehhaushalte ausgestrahlt hat, als heimliche Nationalhymne Litauens.

Fläckernd springen gegen fünf Uhr die paar noch intakten Neonröhren in der Kantine an. Irgendwo im Haus rumpelt ein Motor los: Die einzige Kamera des litauischen Staatssenders, eine russische Tontonov mit dieselgetriebener Optik, läuft sich für die 19-Uhr-Nachrichten warm. Wir folgen Saufauskas in die Sendezentrale, die hauptsächlich mit zwei technischen Geräten bestückt ist: einem alten Grundig VHS-Player und einem noch älteren Video-2000-Abspieler, wie ihn auch die Stasi für ihre Observierungen benutzte. Routiniert schiebt Saufauskas eine VHS-Cassette in den Grundig, prokelt kurz am Antennenausgang rum, und schon erscheint auf dem Kontrollmonitor, einem Großröhrengerät aus rotchinesischer Produktion, ein, wenn auch etwas verschwiemeltes, so doch recht klares Schwarz-Weiß-Bild. Auch der Ton pegelt sich röchelnd auf ein erträgliches Geräusch ein, nachdem Saufauskas zweimal mit der Hand auf den Grundig gehauen hat: „Und läuft!“

Sichtlich stolz blickt der Programmdirektor auf den Bildschirm, über den nun allem Anschein nach jene vorhin angekündigte Sendung über die Hühnerhygiene flimmert. Man sieht einen Moderator in einem blutbesudelten Kittel. Ein Huhn haltend, fuhrwerkt er mit einem Wattestäbchen im Rektum des aufgeregt herumgackernden Tieres herum und gibt dazu allerlei, wie es scheint, ermahnende Hinweise an die Fernsehzuschauer. Endlich lässt er das Huhn frei, hält dann das Wattestäbchen so in die Kamera, dass man schon ahnt, was im anschließenden Umschnitt in der Nahaufnahme zu sehen sein wird.

Ehe wir angewidert die Augen schließen können, erlischt jedoch das Bild und ebenso alle anderen Geräte und Lichter. Ein erneuter Stromausfall zwingt LiTV, seinen Sendebetrieb bis auf weiteres einzustellen.   FRITZ TIETZ