Geschmackssache

Das Musikmagazin „Rolling Stone“ erscheint verzögert und gehört jetzt auch zu Springer – wie sein bisheriger Konkurrent, der „Musikexpress“

von JOCHEN SOMMER

Lange belauerten sich die beiden größten monatlich erscheinenden Musikzeitschriften misstrauisch auf große Distanz: der langjährige deutsche Marktführer Musikexpress aus München und das eingedeutschte US-Produkt Rolling Stone aus Hamburg. Bei der verkauften Auflage (cirka 60.000) ging mal dieses, mal jenes Blatt mit einem hauchdünnen Vorsprung in das nächste Quartal; ohne dass sie sich wirklich Leser abgejagt hätten. Die größte Furcht der Münchner war, dass die Hamburger den gleichen Rockstar auf den Titel hoben – und umgekehrt.

So hatten sich die Verhältnisse gemütlich eingeschaukelt, bis im August plötzlich von einer Kündigung des Rolling-Stone-Chefredakteurs Bernd Gockel die Rede war. Weil, so Gockel, „Mitarbeiter teilweise über Monate nicht bezahlt worden sind und professionelles Arbeiten unter solchen Umständen unmöglich geworden“ sei. Einen Monat später ging er tatsächlich und nahm den Rolling Stone nebst kompletter Redaktion gleich mit. Nach München. In einen tristen Waschbetonklotz im Stadtteil Giesing, in den fünften Stock, wo auch der alte Mitbewerber Musikexpress residiert.

Die spektakuläre Rochade wäre wohl völlig reibungslos über die Bühne gegangen, wenn sich die Auslieferung der Oktoberausgabe nicht um Wochen verzögert hätte. In einer speziellen Beilage des neuen Hefts steht zu lesen: „Verlag ist ‚Rockzeitung Schmitz GmbH‘ und nicht ‚AS Young Mediahouse GmbH“. Was ist passiert?

Der amerikanische Lizenzgeber, der US-Verlag Rolling Stone LLC, hatte dem DRS-Verlag den Rücken gekehrt und das Heft an AS Young Mediahouse lizensiert – eine Springer-Tochter, der neben dem Musikexpress auch Jugendtitel wie Yam und Popcorn gehören. Ein Wechsel, den sich DRS-Geschäftsführer Werner Kuhls nicht bieten lassen wollte.

Er ignorierte die Kündigung aus den USA und setzte sich zur Wehr. Aus gutem Grund: Seinem Verlag war zuvor schon das Wom Journal abhanden gekommen, einen Verlust der Rolling-Stone-Lizenz kann er sich finanziell kaum erlauben. Also behauptete Kuhls, noch immer Inhaber der Lizenz zu sein – was ihm das AS Young Mediahouse per einstweiliger Verfügung untersagen ließ. Kaum war dieses Scharmützel mit den Springer-Anwälten verloren, da ereilte Kuhls Hilfe von unerwarteter Seite: das Bundeskartellamt prüft die Lizenzübernahme durch das AS Young Mediahouse, und das kann dauern. Deswegen verzögerte sich das Erscheinen des Heftes, deswegen erscheint der Rolling Stone auch vorübergehend bei der flugs gegründeten Rockzeitschrift Schmitz GmbH – Annemarie Schmitz ist die rechte Hand von Chefredakteur Bernd Gockel.

In Giesing jedenfalls ist nun Frieden eingekehrt und ein Modus vivendi vereinbart – was nicht allzu schwer sein dürfte, weil sich die Lesergruppen der beiden Flaggschiffe deutlich unterscheiden. Schließlich liegt es auch im Interesse des AS Young Mediahouse, dass die beiden Magazine unterscheidbar bleiben und sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben.

„Der Ton macht die Musik“, sagt Musikexpress-Chefredakteur Christian Stolberg über den feinen Unterschied, der die künftige Koexistenz der beiden Blätter bestimmen wird. Sein Heft, angelehnt an die britische Szenepresse, setzt auf Vollständigkeit, Unterhaltung und ein jüngeres Publikum. Der Rolling Stone wird weiterhin „ganz der Alte bleiben“, wie Bernd Gockel verspricht, also einen feuilletonistischen Ansatz pflegen, nur die „wichtigsten“ Platten vorstellen und damit ein reiferes Publikum ansprechen.

Der ideologische Grabenkrieg früherer Tage wird dennoch nicht eingestellt, sondern nur aufs Eigentliche verlagert. In beiden Magzinen liegen monatlich höchst unterschiedliche CDs bei, über deren Qualitäten man auch weiterhin geteilter Meinung sein darf. Und über Geschmack zu streiten gehört schließlich zu den Lieblingsbeschäftigungen echter Musikfans.