Quotilden gegen Quotossis

Grüne Fraktionsarithmetik: Wenn Ossi Göring-Eckardt auf dem Frauenticket für den Fraktionsvorsitz kandidiert, kann Ossi Schulz nicht mehr auf dem Ossi-Ticket zum Führungsposten reisen. Am nächsten Dienstag ist Showdown in der Fraktionssitzung

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Es war kurz vor sieben am Mittwochabend. Aus der Dämmerung in Berlins Pracht- und Politmeile Unter den Linden lösen sich zwei Gestalten. Werner Schulz und Katrin Göring-Eckardt sind Konkurrenten: Beide wollen auf dem Ostticket zu Vorsitzenden der grünen Fraktion im Bundestag gewählt werden, schaffen kann es wohl nur einer. An diesem Abend eilen sie gemeinsam einem wärmenden Café zu – zur persönlichen Aussprache. „Wir Grünen sind gewaltfrei“, scherzt Göring-Eckardt.

„Mir geht es um ein faires und demokratisches Wahlverfahren“, sagt Werner Schulz. Dann ziehen sich beide zum Tête-à-tête bei Kaffee und Orangensaft zurück. Im Ringen um zwei der einflussreichsten grünen Posten in der Koalition tritt das Wahlverfahren immer mehr in den Vordergrund – und mögliche Tricks zugunsten einzelner Kandidaten.

Die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin Göring-Eckardt ist Teil einer „Paketlösung“, die vom grünen Spitzenteam um Joschka Fischer ersonnen wurde, nachdem die bisherige Doppelspitze aus Kerstin Müller und Rezzo Schlauch ihren Verzicht erklärt hatte. Die Thüringer Abgeordnete hat sich im Sinne des Pakets mit der Hamburger Exsenatorin Krista Sager zum Ost-West-Duo zusammengetan. Weil beide gemeinsam, aber nicht gegeneinander antreten wollen, könnten die Chancen für ihre männlichen Mitbewerber weiter sinken. Neben Schulz will auch der renommierte Umweltpolitiker Reinhard Loske ins Rennen gehen.

Würde nun, wie zwischen den beiden Frauen vereinbart, allein Göring-Eckardt auf dem reservierten „Frauenplatz“ der Doppelspitze antreten, wäre ihr der Sieg sicher – mangels Konkurrenz. Um den unquotierten zweiten Vorsitzendenposten stritten sich dann Sager, Schulz und Loske. Vor allem Schulz geriete dadurch in Bedrängnis, denn seine Kampagne für eine Stärkung des Ostens hätte sich erledigt. „Dann wäre dem Werner die zentrale Argumentationsfigur unterm Arsch weggeschlagen“, meint ein Abgeordneter.

„Ich gehe davon aus, dass die Fraktion ein demokratisches und faires Wahlverfahren beschließen wird“, sagte Schulz darum gestern der taz – eine dezente Warnung, ihn nicht übers Ohr zu hauen. Welches Verfahren am Dienstag gelten wird, ist derzeit noch offen. Auch die Unterstützer des Duos Göring-Eckardt und Sager stehen dabei vor einem Problem: die Geschäftsordnung der Fraktion lässt in ihrer bisherigen Fassung eine doppelte Frauenspitze nicht zu. „Dem Fraktionsvorstand gehören an: eine Fraktionsvorsitzende und ein Fraktionsvorsitzender“ heißt es unter § 8 in geschlechtlicher Eindeutigkeit.

„Zwischen den Kandidaten muss Einigkeit herrschen über das Verfahren“, betont Fraktionssprecher Dietmar Huber. „Keiner hat ein Interesse an einem Verfahren, das hinterher angezweifelt wird.“

Der Streit um das Verfahren bezieht seine Bedeutung auch aus einem einfachen Umstand: politisch sind die beiden Konkurrenten Schulz und Göring-Eckardt sich nahe, die Unterschiede liegen im persönlichen Hintergrund. Schulz ist Veteran der Bürgerbewegung, dem auch innerparteiliche Rivalen großes politisches Geschick und einen strategischen Weitblick attestieren, der manche an Joschka Fischer erinnert. Göring-Eckardt präsentiert sich als junge Kraft, die vor allem in den Nachwendejahren geprägt wurde und damit auch eine neue Generation von Ostdeutschen erreichen kann. Sie gilt als Erfinderin der grünen Kinderpolitik. Mit Erfolg: Selbst der Außenminister sprach im Wahlkampf über die Kinderpolitik als Säule grüner Politik.