Rote Hiebe, grüne Siege

Ein fröhlicher Spaziergang geradewegs in die rot-grüne Epoche sind die Verhandlungen nicht gerade

von HANNES KOCH
und JENS KÖNIG

Am Nachmittag wurden die Grünen unangenehm. Die „Schwebebahn durchs Ruhrgebiet“ müsse nicht unbedingt gebaut werden, raunzte Umweltminister Jürgen Trittin über den Tisch. Man könne den Milliardenzuschuss des Bundes für den geplanten Magnetzug Metrorapid zwischen Düsseldorf und Dortmund auch „in eckige Klammern setzen“ – was im Jargon der Koalitionsverhandler so viel heißt wie: Verhandlungsmasse. Oder auch: kann wegfallen.

Die grüne Verhandlungsdelegation sah an diesem Mittwoch die Grenze ihrer Toleranz erreicht. Ihre Spitzenleute wie Fritz Kuhn und Jürgen Trittin hatten den Eindruck, es sei im Interesse des eigenen Selbstwertgefühls endlich mal angezeigt, den von der SPD probierten Durchmarsch zu blockieren. Die Grünen beschleicht ohnehin das Gefühl, dass auf halber Strecke der Koalitionsverhandlungen einiges gegen sie läuft. Da sind die überraschenden Personalentscheidungen des Kanzlers, Wolfgang Clement zum Superminister und Christina Weiss zur Kulturstaatsministerin zu machen. Zwar waren Joschka Fischer und Rezzo Schlauch bei der Clement-Personalie eingeweiht, trotzdem verstießen die frühzeitigen Festlegungen Schröders gegen die rot-grüne Vereinbarung, erst am Ende der Verhandlungen über die Minister und den Zuschnitt ihrer Häuser zu entscheiden.

Noch mehr ärgern sich die Grünen aber über SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und Finanzminister Hans Eichel. Die erklären ihre eigenen Interessen schlichtweg für sakrosankt. Zuschläge für Nachtarbeiter, Subventionierung des Kohlebergbaus, Straßenbauprojekte – daran dürfe niemand rütteln, lautet die Ansage der beiden SPD-Spitzen. Ein führender Grüner formuliert es so: „Die können nicht überall sparen wollen und gleichzeitig alles Mögliche zum Tabu erklären.“

Die teure Aufteilung der Ministerien zwischen Bonn und Berlin, die Entfernungspauschale für Pendler, die gesamten 90 Milliarden Euro für die geplanten Verkehrsinvestitionen der kommenden Jahre – alles, nicht nur grüne Forderungen, müsse unter Finanzierungsvorbehalt stehen, lautet die Verteidigungstaktik der Grünen. Aber besonders die Drohung mit dem Absturz des Prestigeprojekts Metrorapid in der sozialdemokratischen Hochburg Nordrhein-Westfalen scheint gewirkt zu haben. Als der Tag zu Ende war, trug Trittin ein zufriedenes Gesicht zur Schau. Streit in Umweltfragen? Kein Problem.

Der grundsätzliche Konflikt freilich bleibt. Nach ihren großartigen Wahlerfolg wirft die Umweltpartei ihr gewachsenes Kampfgewicht in die Waagschale. Sie will mehr Einfluss in der Regierung. Die SPD hingegen versucht genau das zu verhindern. Gerade in dieser Situation ist es ganz hilfreich, sich noch einmal an den Montag nach der Bundestagswahl zu erinnern. Ein überaus gut gelaunter Gerhard Schröder stand da in der SPD-Parteizentrale, lächelte unentwegt und tat so, als seien die rot-grünen Koalitionsverhandlungen eine reine Formsache. „Och“, sagte Schröder mit betonter Lässigkeit, „ich glaube nicht, dass es da riesige Komplikationen gibt.“

Knapp drei Wochen später, nach diversen Strategiepapieren der SPD-Linken und einem Stern-Titel über den „heimlichen Kanzler“ Joschka Fischer ist der wirkliche Kanzler nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. Er hält die Fäden in der Hand, und zwar, wann immer es geht, alle Fäden. Der Wunsch aller möglicher Genossen, den Wahlsieg für ihre, also eine „wahre“ sozialdemokratische Politik reklamieren zu können, sowie das demonstrative Selbstbewusstsein der Grünen haben den Kanzler genervt, auch wenn er das nach außen nicht so gezeigt hat. Mit einer einzigen Personalie – der Installierung Wolfgang Clements zum neuen Superminister – hat Schröder seinen Anspruch auf unbeschränkte Macht und auf mehr Reformen deutlich gemacht.

Und dieser Wolfgang Clement ist es auch, der das Machtgefüge nicht nur innerhalb der SPD, sondern auch in der rot-grünen Koalition ganz merklich verschiebt. Er hat mit seiner fast fröhlich daherkommenden Weigerung, die Energiepolitik künftig Umweltminister Jürgen Trittin zu überlassen, die Grünen in die Schranken gewiesen, und das wohl mehr aus Prinzip und nicht etwa aus Begeisterung für diese kleine Abteilung des Wirtschaftsministeriums. Und auch die plötzlich wieder aufkommende Sturheit Hans Eichels, die Grundsatzabteilung seines Finanzministeriums in das neue Superministerium für Arbeit und Wirtschaft zu verlegen, ist wohl nur so richtig mit Clement zu erklären.

Müntefering und Eichel erklärten ihre eigenen Interessen schlichtfür sakrosankt

Dem Superminister wird von Freund und Feind nachgesagt, ein politisches Alphatier zu sein. Damit gibt es jetzt im Kabinett eine gewisse Häufung dieser seltenen Spezies, der natürlich auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer angehören. Das macht es künftig schwieriger, politische Konflikte im Machtzentrum der Regierung zu lösen, auch wenn Clements Verhältnis nicht nur zu Schröder, sondern auch zu Fischer als gut und belastbar gilt. Das wirkt sich aber auch auf die Machtbalance innerhalb der SPD aus. Quasi über Nacht wird Clement und nicht mehr Eichel als der zweite starke SPD-Minister hinter Schröder wahrgenommen.

Diese Konstellation ist dem Kanzler vermutlich nicht Unrecht. „Durch den Clement-Faktor ist vor allem Schröder gestärkt“, sagt ein SPD-Spitzenmann. „Er thront über allen, und er allein entscheidet, welchem seiner Minister er gerade beisteht und welchem nicht.“ Der Kanzler macht davon bereits Gebrauch. Er stand an der Seite seines Finanzministers als die Grünen Mitte der Woche einen kleinen Putschversuch wagten. Fischer, Kuhn und Roth wollten die Neuauflage von Eichels Zehn-Milliarden-Sparpaket von 2003 auf 2005 verschieben. Schröder und Eichel wiesen das schroff zurück.

Nun führt das alles nicht etwa dazu, dass die Komplikationen zwischen SPD und Grünen bei den Koalitionsgesprächen wirklich riesig sind. Aber ein fröhlicher Spaziergang geradewegs in die rot-grüne Epoche hinein sind die Verhandlungen auch nicht gerade. Es handelt sich um den erwartbaren Kampf um Macht, Einfluss und politische Konzepte.

Und den führen die Grünen selbstbewusst und durchaus erfolgreich, wie ihre bisherigen Etappensiege in der Umweltpolitik und bei der Überprüfung der Wehrpflicht zeigen. Die öffentliche Debatte um die Inhalte der Koalitionsverhandlungen bestimmt die Umweltpartei mit ihren Forderungen sowieso. Ökosteuer, Mindeststeuer für Konzerne, Ehegattensplitting – der kleinere Partner dominiert das thematische Profil der künftigen Regierung. Darüber, ob sich dieser bislang nur mediale Vorteil in organisatorischer Macht und grünen Positionen im Koalitionsvertrag niederschlägt, wird die geplante Abschlussrunde der Verhandlungen entscheiden. Am kommenden Wochenende ist im Willy-Brandt-Haus das große Hauen und Stechen angesagt.