Schrecken der Erinnerung

Außer der getragenen Musik und den langsamen Schritten der Besucher ist nahezu kein Ton zu hören. Niemand spricht, alle schauen mit starrem Gesicht auf die Fotos oder lesen in den Dokumenten: Die Ausstellung „Exilio“ macht betroffen.

„Manchmal kamen mir einfach die Tränen“, gesteht Margarita Augullo. Die 77-Jährige fühlte sich plötzlich zurückversetzt in die eigene Kindheit im Bürgerkrieg. „Die Fotos der Kleinen, wie sie die Schiffe besteigen. Viele von ihnen sind nie zurückgekommen“, stammelt sie.

Auch Margarita stand auf der Liste derer, die von der Republik in ferne Lände verschickt werden sollten, um ihnen den Krieg zu ersparen. „Doch dazu kam es nicht mehr“, erinnert sich die Rentnerin. Glück oder Pech? Das weiß sie nicht zu beantworten. In der Heimat zu bleiben hatte einen hohen Preis. Hunger, Repression – fast eine Million Menschen verloren nach dem Sieg der „Nationalen“ das Leben. „So etwas vergisst man nie“, sagt Margarita Augullo.

Mehr noch, die Erinnerungen an den grausamen Bruderkrieg und vierzig Jahre Diktatur werden bis heute von Generation zu Generation weitergegeben. „Meine Eltern haben mir viel von damals erzählt“, sagt Gara Martín. Die 23-jährige Studentin sagt, sie komme „selbstverständlich“ aus einer republikanischen Familie. Aber: „Man kann noch immer nicht offen über all das sprechen.“

Nicht nur die Republikaner, auch die anderen, die Sieger, haben ihr Geschichtsbewusstsein. Aus Angst vor zu viel Diskussionen wird das Thema Bürgerkrieg und Diktatur selbst im Gymnasium und an der Universität nur recht oberflächlich behandelt. „Jeder weiß, wer er ist“, meint Gara Martín, die dennoch hofft, dass die Toleranz der mittlerweile 25 Jahre andauernden Demokratie die Gesellschaft tief genug geprägt hat, „damit sich so etwas nicht wiederholen kann“.

„Ich wusste wirklich nicht, dass so viele Menschen vom Exil betroffen waren“, erklärt Fernando Bayón. Auch er ist Student. Auch er ist in der Demokratie geboren. Eines unterscheidet ihn von den meisten Besuchern der Ausstellung: „Meine Familie gehörte zu den Nationalen, den Siegern des Bürgerkrieges“, gibt er unumwunden zu. Zwar stand auch sein Großvater hinter der Republik. „Doch seine Heimatstadt Valladolid fiel früh in die Hände der Franco-Truppen. Da hieß es einfach mitmachen.“ Sich dagegen zu wehren hätte den sicheren Tod als „Roter“ bedeutet.

„Zu Hause wurde nie viel über die dunklen Jahre gesprochen. Und in der Schule kam das Thema immer am Ende des Schuljahres dran, wenn überhaupt keine Zeit mehr war“, erinnert sich Fernando. Was ihn nach dem Besuch der Ausstellung am meisten bedrängt: „Dass sich so etwas wiederholen könnte.“ Dabei denkt Fernando nicht so sehr an die Kriege auf dem Balkan, sondern an das Spanien von heute: „Ich habe Angst, vor allem wegen der Situation im Baskenland.

Die Ausstellung „Exilio“ ist noch bis Ende Oktober im Palacio de Cristal in Madrid zu sehen. Ein Fernsehdokumentarfilm gleichen Namens ist als DVD mit englischen Untertiteln beim Verlag Planeta erschienen. Das Buch „El Exilio Español (1936 –1978)“, aus dem die Zitate des nebenstehenden Textes stammen, wurde ebenfalls bei Planeta verlegt. REINER WANDLER