berliner szenen Agitatoren nach der Wahl

Guter Mensch Wowereit

Die Wahl ist vorbei, überall fallen die Menschen zurück in ihre Lethargie und überlassen Politik denen, die davon leben. Einige aber bleiben wach und beziehen Stellung, an jedem Ort, zu jeder Zeit. Zum Beispiel früh im 148er-Bus: Etwas liegt in der Luft – nicht Morgenmuff, nein, Debattierclub-Atmosphäre. Vorne diskutieren drei Frauen halblaut über Schröder und seine Ehen. Die hinteren Reihen lauschen gebannt der Wahlnachlese eines älteren Mannes – beigefarbener Mantel, Pepita-Hütchen, Hornbrille mit dicken Gläsern, Mecklenburgischer Akzent: „Deswegen bin ich bei den Nichtwählern, da weiß ich, was ich habe. Da muss ich mir in der Hölle vom Teufel keine Vorwürfe machen lassen, dass ich die Dösköppe gewählt habe.“ Zustimmendes Nicken.

Die Frauen sind mittlerweile bei bösen Einwanderern und Kopftüchern. Doch für dumpfe Reden hat unser Mann die Debatte nicht entfacht: „Ich kenne in Berlin nur anständige Türken.“ Aber der Ausländer – an sich und im Ausland –, beharrt die eine Frau: „Letzten Sommer in Italien betrogen, nur Gauner!“ – „Ach was, ich war seit der Wende zehnmal in Italien, wunderbare Menschen. Bankgesellschaft, Korruption: Die wahren Räuber sitzen hier bei uns.“ Applaus brandet auf. Auf Wowereit lässt er allerdings nichts kommen: „Ein guter Mensch, aber zu schwach.“ Spricht es und verlässt an der Bülowstraße den Bus zum Umsteigen Richtung Zoo. Eine Minute später ist er wieder da und sendet dem Fahrer, der ihm vor der Nase davongefahren ist, Flüche hinterher: „Ins Grab kommst du auch noch!“ Eine junge Frau rät ihm zur U-Bahn. „Du kommst in den Himmel!“, sagt er und zieht mit einem „Auch für euch soll die Sonne scheinen!“ von dannen.

CARSTEN WÜRMANN