Die arme Gabi und der böse Wolf

Die Berliner PDS kämpft ganz vorn in der Front gegen Gabi Zimmer. Die Vorsitzende schimpft ihrerseits auf den Sparkurs der Berliner Genossen und deren Nähe zur SPD. Der heutige Parteitag in Gera ist auch für die Zukunft des rot-roten Senats wichtig

von ROBIN ALEXANDER

264 Kilometer liegen zwischen Berlin und Gera. Quälend lange drei Stunden braucht die Bahn AG, bis der Zug in der thüringischen 100.000-Einwohner-Stadt ankommt. Viele Berliner PDS-Mitglieder werden die Fahrt trotzdem auf sich nehmen – nicht nur, weil in Gera vielleicht ein spannender Showdown ansteht zwischen der bisherigen Parteivorsitzenden Gabi Zimmer und ihrem Herausforderer Dietmar Bartsch mit einem zögernden Roland Claus im Hintergrund.

In Gera geht es um Berlin

In Gera geht es heute auch um Berlin: Wie weit ist das hiesige Bündnis mit der SPD für die Niederlage bei der Bundestagswahl verantwortlich? Und – wichtiger – wie agiert die PDS in Zukunft im Senat?

Nach Ansicht der noch amtierenden Vorsitzenden Zimmer darf es nicht so weitergehen mit der „fairen, sachorientierten Zusammenarbeit“ (Wirtschaftssenator Harald Wolf) im Senat. Was Wolf als konstruktiv lobt, beschreibt Zimmer als kontraproduktiv für die Partei: Es sei ein Fehler, „den Konsolidierungskurs“ zum „zentralen Anspruch“ zu machen, sagt Zimmer und wird längst auch öffentlich konkret: „Wenn der Finanzsenator eine Liste mit Streichvorschlägen bekannt macht, die so verheerend ist, dann stellt das den Bestand der Koalition in Frage.“

Solche Ratschläge mögen die in Berlin maßgebenden PDS-Politiker Harald Wolf und Partei- und Fraktionschef Stefan Liebich nicht mehr hören. Ihre Strategie war, die so genannte Giftliste des Finanzsenators zum reinen Verwaltungspapier herunterzureden, anstatt es zum Anlass eines lauten Koalitionskrachs zu machen. Seit der verlorenen Bundestagswahl haben Zimmer und ihr sächsischer Stellvertreter Peter Porsch jedoch versucht, den Berliner Regierungssozialisten die Verantwortung für das Desaster aufzubürden.

Berlin contra Zimmer

Unmittelbar vor dem Parteitag schlugen die Berliner brutal zurück. Auf der Sitzung des Bundesvorstands am Mittwoch wurde ein von den Berliner Parteitagsdelegierten am Vorabend verfasster Antrag völlig überraschend gegen den Zimmer’schen Leitantrag zur Abstimmung gestellt. Ausgang der Abstimmung Berlin contra Zimmer: 9 zu 7. Auch wenn Liebich die Aktion als „spontan und nicht geplant“ herunterredet: Zimmer weiß genau, dass sie ihre bisher schwerste Niederlage den Berliner Genossen verdankt. Am Freitag legte Wolf nach und sprach Zimmer in einem Zeitungsinterview die Führungsfähigkeit ab.

Heute in Gera allerdings könnte das Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen. Wie die 426 Delegierten abstimmen, kann niemand seriös prognostizieren. So deutlich wie in der Hauptstadt dominiert die Gruppe der wahlweise als „Reformer“, „Pragmatiker“ oder verächtlich als „Sozialdemokraten“ bezeichneten Regierungssozialisten nirgendwo. Sie argumentieren kategorisch: In Berlin hat die PDS vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus einen reinen Regierungswahlkampf geführt, der sogar darin gipfelte, einen eigenen Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters aufzustellen. Quintessenz: Regierungsausstieg wäre Wahlbetrug.

Aber den Ausstieg will außer marginalisierten Linksradikalen sowieso niemand – auch nicht die Kritiker der Wolf-und-Liebich-Führung. Nicht gar nicht, sondern anders soll regiert werden, fordern immer mehr Sozialisten. Rühmen sich Wolf und Liebich damit, wie reibungslos die Senatsarbeit abläuft, sehen andere genau darin ein Problem: „Es ist ein schlechtes Zeichen, dass kein wirklicher Konflikt aus der Koalition in die Gesellschaft gedrungen ist“, heißt es in einem internen Papier des Abgeordneten Peter-Rudolf Zotl etwa. Der ist zwar alles andere als eine zentrale Figur, aber auch andere denken so. Wenige Tage vor der Bundestagswahl hatten schon 18 von 33 Fraktionsmitgliedern – eine Mehrheit – ein Papier unterschrieben, das die Einsetzung des Koalitionsausschusses wegen der Giftliste forderte. Der inszenierte Krach wurde den Abgeordneten in letzter Minute noch einmal ausgeredet.

Mehr noch als Liebich wird Wolf, der eigentliche Architekt von Rot-Rot, seit der Bundestagswahl in Frage gestellt. „Harald kann nicht immer bei jedem Konfliktchen drohen: ‚Dann ruf einen Sonderparteitag ein und lass die Koalition platzen‘ “, schimpft Gesine Lötzsch, die als direkt gewählte Kandidatin demnächst vom Abgeordnetenhaus in den Bundestag wechselt. Den Anti-Zimmer-Antrag hat sie nicht unterschrieben: „Das kommt aus Berlin, und da steht kein Wort über Berlin drin. Sehr problematisch!“

Gysi ist schuld

Nur in einem sind sich alle Sozialisten einig: Ein Großteil der Misere geht auf die Kappe von Gregor Gysi. Die Führung nimmt dem abgetretenen Zampano übel, dass er im Wahlkampf populistisch zehn Prozent mehr für Bildung versprach und die Kultur explizit von Kürzungen ausnahm. Beide Forderungen sind nicht zu halten und provozieren daher Enttäuschungen. Die Kritiker der Führung verzeihen Gysi nicht, dass er noch stärker als Wolf und Liebich auf die Westausdehnung setzte. Gysi trage Schuld, dass die Interessen der Ostberliner Kernklientel im Koalitionsvertrag nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Nach der Schuldzuweisung an Gysi hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Während Wolf darauf verweist, Regieren müsse gelernt werden und Anfangsfehler seien unvermeidbar, wittern kritische Parteifreunde immer öfter absichtliche Fouls durch den Koalitionspartner. So stimmte die PDS auf Druck der SPD zu, einen Beitrag für die Versorgungsgemeinschaft des Bundes und der Länder für die Beschäftigen des öffentlichen Diensts in Ostberlin zu streichen. Resultat des komplizierten Vorgangs: Eine de facto 1,4-prozentige Gehaltskürzung erreichte die Betroffenen zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Zumindest dem SPD-Chef Peter Strieder trauen viele in der PDS zu, durch gezielte Härten die Ostpartei im Osten diskreditieren zu wollen.

Misstrauen und kontrollierter, aber öffentlicher Konflikt statt Vertrauen und gemeinsamer Arbeit: Dieser Entwicklung kann Klaus Wowereit nicht gefallen. Und in der Tat predigen hohe Mitarbeiter des Regierenden schon in beiden Regierungsfraktionen Gelassenheit. „Wir können jetzt vier Jahre mit Mehrheit regieren“, heißt es. Die Europawahl 2004 sei nur bedingt wichtig. Vier Jahre, um harte Entscheidungen durchzusetzen. Vier Jahre – „und auch für die PDS gilt: Man muss erst am Ende wieder gut aussehen.“