„Weiterforschen!“

Der Düsseldorfer Historiker Hersch Fischler zweifelt an der Aufrichtigkeit der Kommission zur Untersuchung der Bertelsmann-Geschichte im Dritten Reich. Er fordert Klarheit über Reinhard Mohn

taz: Nun ist offiziell, was Sie dem Bertelsmann-Konzern vor vier Jahren vorgeworfen haben: Die unabhängige Historische Kommission unter der Leitung von Saul Friedländer hat bestätigt, dass der Verlag jahrzehntelang seine eigene Geschichte im Dritten Reich schöngeschrieben und sich zu Unrecht als Widerstandsverlag dargestellt hat. (taz vom 8.10.) Sind Sie jetzt zufrieden?

Fischler: Leider nicht. Bertelsmann ist es nämlich mit Hilfe der Kommission gelungen, den Eindruck zu erwecken, dass der Fall aufgeklärt ist, keine Fragen mehr offen sind. Das ist aber falsch. Die Kommission hat entscheidende Dinge nicht bestätigt. Erstens hat sie versäumt, genau festzustellen, warum Teile des C. Bertelsmann Verlags 1944 geschlossen wurden. Zweitens hat sie die Rolle und das Verhalten des Inhabers Reinhard Mohn nicht genauer beleuchtet, obwohl er selbst zentral zu der Legendenbildung beigetragen hat. Er war es, der 1947 schriftlich erklärte, Bertelsmann sei ein Widerstandsverlag gewesen. Auf diese Weise gelang es ihm, die Lizenz für eine Neugründung zu erschleichen. Das entsprechende Antragsdokument liegt im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv. Die Kommission hat es nicht berücksichtigt. Ich würde gerne wissen warum. Will sie den Gründermythos von Reinhard Mohn schützen?

Zunächst die Schließung 1944. Welche Gründe hatte sie?

Keine politischen. Das Naziregime fühlte sich von dem Verlag schlicht und einfach wirtschaftlich geschädigt – und das offenbar leider mit guten Gründen. Man muss hier von Bereicherung, Betrug und Korruption sprechen. Alles deutet darauf hin, dass Bertelsmann der Wehrmacht Unmengen Bücher verkaufte, die sie gar nicht brauchte, und das zu viel zu hohen Preisen. Außerdem ergaunerte sich der Konzern Papier in rauen Mengen, die nach dem Krieg entscheidend zum Wiederaufbau beitrugen. Die Kommission hat dieses Thema nicht untersucht, obwohl hilfreiche Dokumente vorliegen.

Was gibt es noch über Reinhard Mohn zu schreiben?

Das weiß ich erst, wenn der Fall genauer untersucht worden ist. Das heißt nicht, dass ich so etwas wie eine zweite Entnazifizierung von Mohn fordere. Ob er Mitglied in NS-Organisationen war, ist heute gar nicht mehr so wichtig. Entscheidend ist eine korrekte Einordnung seiner Rolle und vor allem seiner Kommunikationsstrategie nach dem Krieg. Er hat die Legende gefördert und erst jetzt – unter großem Druck – dementieren lassen. Ich kann verstehen, dass er sein Familienunternehmen schützen wollte, um es erfolgreich neu aufzubauen. Aber ehrlich gesagt: für den Chef eines Medienunternehmens, das in aller Welt für seriöse, glaubwürdige Inhalte stehen will, gehört sich das nicht.

Was fordern Sie konkret?

Weiterforschen! Es wäre ein Fehler, die Aufarbeitung des Falls Bertelsmann mit dem vorliegenden Kommissionsbericht einzustellen. Die Kommission hat sich aufgelöst, ich würde sagen: Sie befindet sich auf der Flucht. Das ist nicht meine Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit, die ja nun eigentlich erst beginnt. Die Archive sind jetzt für alle offen. Das ist ein Ansporn für Forscher, die nicht von Bertelsmann bestellt wurden, alternative Untersuchungen anzustellen – die von der offiziellen Variante abweichen. Wir müssen jetzt vor allem die Legendenbildung nach dem Krieg untersuchen, besonders die Rolle der Unternehmenkommunikation. Mit welchen Tricks die Widerstandslegende noch 1998 offensiv vertreten wurde, als Bertelsmann in der Welt darum warb, den US-Verlag „Random House“ zu kaufen.

INTERVIEW: HEINZ KLEINSPIES/
STEFFEN GRIMBERG