Sparkurs der Verlage trifft auch den kreativen Motor

Bis zu 50 Prozent Anzeigeneinbußen zwingen die Zeitungshäuser zu radikalen Kostensenkungen – betroffen sind davon erstmals die Redaktionen

Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht: Um 14 Prozent gingen in den ersten sechs Monaten 2002 die Werbeeinnahmen der Tagespresse zurück. Bei den überregionalen Titeln waren es sogar bis zu 50 Prozent, errechnet der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW).

Ohne Ausnahme dauert der Sparkurs der Verlage an. Vorreiter sind die überregionalen Blätter. Selbst die Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die einst auch jedem Jungredakteur einen Dienstwagen vor die Tür gestellt hat, kündigt betriebsbedingt. Nicht mal mehr das „Kerngeschäft“ ist sakrosankt: Die „Berliner Seiten“, das tägliche, zusätzliche Hauptstadtfeuilleton der FAZ, erschien Ende Juni letztmalig. Seit August wird das Internetangebot faz.net überprüft.

Bei der Süddeutschen Zeitung herrscht schon seit Jahresbeginn Sparzwang. Im Februar hatte die Geschäftsführung des Süddeutschen Verlages bis zu 15 Prozent Kostensenkungen angekündigt. Aus dem Blatt verschwunden sind bereits die zusätzliche „Berliner Seite“ und die viel beachtete Jugendbeilage jetzt. Das Wochenendsupplement SZ-Magazin hat dagegen noch eine Garantie – aber nur bis zum 31. Dezember. 55 Mitarbeiter der SZ-Redaktion sind laut Journalistengewerkschaft BJV aktuell von einer Kündigung bedroht. Ein Haustarifvertrag, der eine befristete Absenkung der Redaktionsgehälter um bis zu 10 Prozent vorsieht, wird verhandelt.

Mit der schwer angeschlagenen Frankfurter Rundschau macht die SZ bereits heute beim Stellenmarkt gemeinsame Sache. Das Traditionsblatt hat seine Kreditlinien ausgeschöpft, sich in einer ersten Entlassungswelle bereits von 10 Redakteuren getrennt und die Unternehmensberatung KPMG mit der Suche nach Alternativlösungen beauftragt. Deren Empfehlungen: Abschaffung der bisherigen Doppelspitze in der Chefredaktion, bis zu 30 weitere Stellenstreichungen im Redaktionsbereich sowie ein „Sonderopfer“ aller Mitarbeiter. Spareffekt: stolze 10 Millionen Euro.

Dass die Anzeigenumsätze aller Verlage nach den Boomjahren 1999 und 2000 rückläufig sind, ist unstrittig. Dass fast alle Verlage bis 2001 mit zweistelligen Umsatzrenditen überdurchschnittlich gut verdient haben, auch. Und so nutzen viele solvente Häuser die Krise als Chance. Sie bauen vermeintliche Überkapazitäten ab und verschonen dabei erstmals auch den Bereich nicht, der bislang als kreativer Motor des Verlages eine Sonderstellung hatte: die Redaktion.

Nicht nur bei den Überregionalen, auch bei den in Deutschland vorherrschenden regionalen und lokalen Abonnementzeitungen wird derzeit unter Verweis auf die allgemeine Marktlage rationalisiert, was das Zeug hält. Am ehrlichsten gibt sich dabei die Essener WAZ-Gruppe mit diversen Titeln an Rhein und Ruhr sowie in Thüringen. Auch sie hat sich eine 10-prozentigen Sparkur verordnet – um sich für die künftige Marktentwicklung noch günstiger zu positionieren. Eine „neue Welle der Pressekonzentration“ im regionalen Bereich prophezeit Medienforscher Horst Röper.

Lernen können die regionalen Titel dabei noch eine ganze Menge. Von Springer zum Beispiel, wo eine ganz eigene Art von Pressekonzentration um sich greift: Der Verlag hat die überregionale Welt mit seinem Lokalblatt Berliner Morgenpost fusioniert. Beide Blätter gestaltet jetzt eine Gemeinschaftsredaktion, 110 Mitarbeiter verloren ihren Job.

Und die nächste Konzentrationsfrage auf dem Berliner Zeitungsmarkt ist nicht minder spannend: Was plant Holtzbrink? Schließlich ist der Stuttgarter Verlag seit diesem Jahr stolzer Besitzer zweier „Hauptstadtzeitungen“ – des Tagesspiegel und der Berliner Zeitung. Sind da demnächst zwei eine zu viel? STEFFEN GRIMBERG