Koalitionäre erhöhen den Einsatz

Außenminister Fischer fordert angeblich sämtliche Europa-Kompetenzen. Defizit größer, Grüne für „gerechtes Sparen“

BERLIN taz ■ Vor der wichtigen Runde der Koalitionsverhandlungen an diesem Wochen befestigen beide Seiten ihre Ausgangspositionen. SPD und Grüne treiben ihre Forderungen in die Höhe, um mehr Verhandlungsmasse zu bilden. Als ein solcher Versuch dürfte das Anliegen Joschka Fischers einzustufen sein, sämtliche Kompetenzen für die Europapolitik in seinem eigenen Hause anzusiedeln.

Fischers Außenamt würde damit zu einem Super-Super-Ministerium, das in alle anderen Ressorts hineinregieren könnte. Auch das Kanzleramt müsste beim Herrn Außenminister nachfragen, ob man europapolitisch aktiv werden dürfe. Denn Fischer beansprucht angeblich nicht weniger als die Kompetenzen für Landwirtschaft, europäischen Binnenmarkt, Arbeit, Soziales, Wirtschaft, Finanzen, Bildung und Umwelt. Er würde damit alle entscheidenden Europa-Verhandlungen führen.

Dummerweise sind diese Zuständigkeiten bislang im Bundesfinanzministerium angesiedelt. Amtsinhaber Hans Eichel (SPD), so war zu hören, habe nur mit dem Kopf geschüttelt, und auch Bundeskanzler Gerhard Schröder neige keinesfalls dazu, außenpolitisch zugunsten der Grünen quasi abzudanken. Das hinderte Fischer nicht daran, am Rande der Verhandlungen zu diktieren: „Es war der Wunsch des Bundeskanzlers, ein Europaministerium einzurichten. Ich bin für die Außen- und Europapolitik zuständig.“

Der Vorstoß Fischers ist nicht nur gegen die SPD gerichtet, sondern auch gegen den Ministerkollegen Jürgen Trittin (Grüne). Fordert Fischer viel und bekommt möglicherweise etwas davon durch, wird Trittins Verhandlungspielraum für die Verlagerung von Kompetenzen in sein Ministerium geringer. Der Umweltminister hat Interesse, aus dem SPD-regierten Wirtschaftsministerium die Referate für erneuerbare Energien in sein Haus zu holen. Für das Machtgefüge der Grünen ist es keine ganz unwichtige Frage, wer an Kampfgewicht gewinnt – Trittin als wichtigster Vertreter der ehemaligen Linken oder der Vizekanzler.

Was die Grünen können, kann die SPD aber schon lange. Auf der Suche nach Finanzierungsquellen im Haushalt quälten die Sozialdemokraten ihre Verhandlungspartner am Donnerstagabend etwa mit dem Vorschlag, wichtige Steuersubventionen für die Landwirtschaft zu streichen. Es ging vor allem um den halben Mehrwertsteuersatz für landwirtschaftliche Vorprodukte, den die SPD auf volle Höhe anheben will. Dadurch würden sich Saatgut, lebende Tiere sowie Brennmaterial wesentlich verteuern und gleichzeitig die Bauern weiter gegen die ohnehin ungeliebte grüne Agrarministerin Renate Künast aufgebracht. Die winkte auch dankend ab. „Wenn schon sparen, dann gerecht und gleichmäßig“, heißt es bei den Grünen, „und zwar auch bei SPD-Interessen.“

Dieses muntere Hin und Her wird spätestens am Sonntag vorbei sein, wenn sich die Chefs Schröder und Fischer über die offenen Punkte verständigen sollen. Das wird allen Beteiligten wenig Spaß machen, denn mittlerweile scheint klar zu sein, dass das Defizit im Bundeshaushalt für 2003 weit mehr als 10 Milliarden Euro beträgt. Diese Zahl stammte aus dem Finanzministerium. Nachdem die Grünen aber noch mal genau nachfragten, soll sich herausgestellt haben: Es fehlen insgesamt 14,2 Milliarden Euro.

Zur höheren Deckungslücke rechnen die Koalitionäre den Finanzbedarf hinzu, der anfällt, wenn man Politik machen will. Ganztagsschulen, Kinderbetreuung usw. addieren sich auf weitere rund 4 Milliarden Euro für 2003. Die Koalition hat nichts weniger zu tun, als am Wochenende runde 18 Milliarden Euro zu beschaffen. Da ist es kein Wunder, dass fast niemand mehr daran glaubt, die Verhandlungen könnten bis Sonntagabend beendet sein. HANNES KOCH