Vor dem Platzverweis

Er sollte eine Heimat werden für Fußballbegeisterte aller Nationen in der Hochhaussiedlung Schnelsen-Süd: Doch dem frisch gegründeten Kreisklassen-Klub SV Neue Heimat droht wegen einer Schlägerei nach einem Fußball-Spiel das vorzeitige Ende

„Wir wollten gerade etwas aufbauen. Und dann so etwas.“

von OKE GÖTTLICH

Fehler sind menschlich. Fußballvereine auch. Während kleine Kinder sich langsam in das soziale Gefüge integrieren lernen, tun sich junge Fußballvereine anfänglich mit verbandsinternen Regeln schwer. Dass menschliche wie verbandsstrukturelle Probleme zusammenkommen können, erlebt nun der vor zwei Monaten gegründete Fußballverein SV Neue Heimat aus Schnelsen auf unangenehme Weise. Denn der Frischling in Hamburgs Fußball-Verband (HFV) ist verdächtigt, die Grenzen erlaubter Unerzogenheit überschritten zu haben.

Am 22. September nach Beendigung der Kreisklassepartie zwischen den Gastgebern SV Fortuna 72 und dem SV Neue Heimat kam es auf dem Sportplatz Gustav-Falke-Straße in Eimsbüttel zu einer heftigen Schlägerei. Ein zuschauender Fortuna-Spieler erlitt einen dreifachen Kieferbruch, sechs weitere Spieler aus beiden Teams zogen sich leichtere Verletzungen zu. Die Besatzungen von sieben Streifenwagen trennten die gegnerischen Lager, so der Polizeibericht, der verbale Provokationen als Auslöser der Schlägerei vermutete.

Nun geht das nach 90 Minuten mit 4:1 für Fortuna beendete Spiel vor dem Sportgericht des HFV in die Verlängerung. Bislang ohne Ergebnis. Denn Neue Heimat will sich nicht als Auslöser der Aggressionen stigmatisieren lassen, wie es Medienberichte in den folgenden Tagen getan hatten. „Wildwest auf dem Bolzplatz“, hatte die Mopo getitelt und emotional geladene Zitate von Augenzeugen präsentiert: „Das waren nur Ausländer. Die gingen auf alles los, was deutsch aussah“, wurde Fortuna-Trainer Manuel Longo zitiert. „Die wurden wild wie Tiere“, so Longo im Abendblatt, Fortuna-Vorsitzender Jürgen Staack vermutete, „denen ist das südländische Temperament durchgegangen“. Auch fehlte der Hinweis nicht, dass Neue Heimat zu 90 Prozent aus Nicht-Deutschen, zumeist Türken besteht. Wenigstens durfte dort Trainer Bekir Tanrikulu erklären, dass „die Fortuna-Spieler einfach losschlugen“, während er schlichten wollte.

Solchermaßen vorbelastet verhält sich Neue Heimat wie ein trotziges Kind. Statt zur schnellen Aufklärung beizutragen, sind die mit Hilfe der Rückennummer identifizierten Spieler nicht zu den Verhandlungen vor dem Sportgericht erschienen. Verschleppt der Verein weiterhin das Verfahren, droht ihm in der vermutlich letzten Sitzung des Sportgerichts am 23. Oktober der Ausschluss vom Spielbetrieb. Zwei Spieltage musste das Team bereits aussetzen.

Dabei ist ein Fußballverein in der Schnelsener Hochhausgegend, die viele mit dem Namen „Spanische Furt“ pauschalisieren, eine neue Anlaufstelle für die vielen „fußballbegeisterten Menschen in unserem Viertel“, sagt die Sozialberaterin Ulla Kutter. Ein Ausschluss vom Spielbetrieb und die damit einhergehende Schließung des Vereins wäre für Kutter „ein Verlust einer wichtigen Freizeitgestaltung in Süd-Schnelsen“, zumal vom Verein ausgehend demnächst auch Jugendtraining angeboten werden soll.

Für Ulla Kutter zeigt sich nach dem tragischen Vorfall und den Folgen, dass Neue Heimat mit aller hektischen Euphorie „vielleicht unter zu naiven Vorzeichen gestartet wurde. Der Verein wird jetzt von vielen Seiten unterstützt werden“, kündigt sie an. Sowohl das Kinder- und Familienzentrum als auch die Islamische Gemeinde Eidelstedt/Schnelsen wollen sich künftig intensiver engagieren.

Eine positive Nachricht für den Straßensozialarbeiter Ercan Degirmenci, einer der Initiatoren des neuen Fußballvereins. Weil der Trainer und Vorsitzende des SV Neue Heimat, Bekir Tanrikulu, mit den Formalitäten während eines solchen Prozesses kaum vertraut ist, muss Degirmenci sich nach allen Seiten für den Vorfall rechtfertigen, was angesichts der schweren Verletzungen kaum möglich ist. „Wir stoßen mit diesem Prozess an unsere Grenzen“, seufzt der multifunktionierende Geschäftsführer, Pressesprecher, Prozessbegleiter und Straßensozialarbeiter. „Wir wollten gerade etwas aufbauen. Und dann so etwas.“

Dem Vorwurf allerdings, dass Neue Heimat das Verfahren verschleppen würde, entgegnet Degirmenci lieber mit Taten als mit Worten. Die drei identifizierten Spieler, die bislang nicht vor dem Sportgericht ausgesagt haben, sind bereits vom Verein ausgeschlossen worden. Vor der letzten Verhandlung wird eine Hauptversammlung einberufen, in der die Folgen der Geschehnisse für die Zukunft des Vereins thematisiert werden sollen. Außerdem wird Degirmenci Kontakt mit Fortuna 72 aufnehmen, um das „verfeindete Verhältnis“ zu entspannen und Ungereimtheiten auszuräumen.

Fortunas Vereinschef Staack kündigte nach dem Skandalspiel an, nie wieder gegen Neue Heimat spielen zu wollen. Verständigen sich beide Vereine und setzt Neue Heimat seinen deeskalierenden Weg fort, wird eine „denkbare“ Suspendierung vom Spielbetrieb auch für den Vorsitzenden des Sportgerichts Uwe Grimm kein Thema mehr sein.

Und der Verein hätte die Chance, erwachsen zu werden.