Listiger Satyr gegen Sturkopf

Ende einer dramatischen Inszenierung: Union-Trainer Georgi Wassilev wird vom Verein fristlos entlassen. Motor des Rausschmisses ist Präsident Bertram. Aber auch Wassilev selbst goss Öl ins Getriebe. Zum Schluss ging es nur noch ums Geld

von MARKUS VÖLKER

Der Rausschmiss wurde am Samstagvormittag perfekt gemacht. Präsident Heiner Bertram entließ Trainer Georgi Wassilev. Ihm wurde fristlos gekündigt. In der Geschäftsstelle des 1. FC Union Berlin herrschte eisige Stimmung. Bertram habe ihn, berichtete der bulgarische Fußballlehrer nachher indigniert, rüde im Kasernenton angeherrscht – ihn, den „General“. Zuletzt ging es nur noch um die Höhe der Abfindung. Das Köpenicker Welttheater war in den letzten Akt getreten. Das Drama zweier Helden, deren Willen miteinander kollidierte, deren Berechnung sie auseinander brachte, zeichnet die taz nach.

Exposition: Schleichend begann der Prozess der Trennung. Es stimmte seit geraumer Zeit nicht mehr zwischen Bertram und Wassilev. Nehmen wir etwa die Abmahnungen. Weil der Coach in einem Trainingslager nicht die Sachen des Sponsors Nike trug, bekam er einen Rüffel von der Union-Spitze. Das Ränkespiel beginnt ja meist mit Kleinigkeiten, die auf Außenstehende unverständlich wirken, aber im Innern des Konflikts eine eskalierende Kraft entfalten. Wassilev, ein stolzer Mann mit 26 Jahren Berufserfahrung, dürfte derartige persönliche Attacken schlecht verdaut haben. Jeder, der in dieser Saison in die Wuhlheide fuhr, um Spiele zu sehen, konnte auch die Sollbruchstelle zwischen Trainer und Präsident begutachten. Der Riss wurde immer tiefer, die Perforation, die die Zweckgemeinschaft zusammenhielt, brüchiger. Auch Wassilev verlor bisweilen die Contenance, schrieb der Mannschaft Schuld zu, wo keine war. Bertram stichelte derweil wie der listige Protagonist eines Satyrspiels. Einmal reichten ihm des Trainers Deutschkenntnisse nicht, eine Meinung, der sich fast die gesamte Berliner Presse anschloss, ein andermal rügte er Wassilevs Sturheit. Der Konflikt mäanderte von Spieltag zu Spieltag, bis es vor einer Woche zu jenem 0:7 gegen den 1. FC Köln kam.

Erregendes Moment: Dieses 0:7 war Anlass, nicht Ursache. Beide Seiten wussten das Resultat für sich zu nutzen. Wassilev blieb wider jeden Trainerinstinkt nicht bei der Mannschaft, um in Einzelgesprächen das Problem zu lösen. Denn zu lösen war da nichts mehr. Wassilev hatte sich gedanklich so weit von der Mannschaft entfernt, wie sein Reiseziel von Berlin liegt. Auf Zypern, so sagte Wassilev am Freitag der taz, habe er einen Notar aufsuchen müssen, um einen Hauskauf rechtlich abzusichern. Der 56-Jährige versuchte die Entrüstung, die in Berlin ob seiner Abreise, die als Desertion von der Truppe verkauft wurde, mit Unverständnis zu kommentieren – auch ein meisterliches Laienspiel unter dem Titel „Die Provokation einer Entlassung“. Er verstehe den Wirbel nicht, er habe sich ordnungsgemäß abgemeldet, der Trip sei lange geplant, gab er vor. Er habe Trainingspläne hinterlegt. „Ich bin ein disziplinierter Mann, ich hatte die Erlaubnis vom Präsidium“, ließ er wissen. Wenn ihn Bertram entlasse, nur zu, das sei die Aufgabe eines Präsidenten, ermutigte er die Union-Führung. Es mag stimmen, dass Wassilev nicht ohne Segen nach Zypern flog, konnte doch Bertram in der Zeit der Abwesenheit sein Projekt der Demontage beenden und Wassilev in ein denkbar schlechtes Licht rücken. Wie könne er Privatinteressen verfolgen, wenn das Wohl von Union auf dem Spiel stehe, empörte sich der Präsident. Vermutungen potenzierten sich zu Anschuldigungen und schließlich zu bewiesenen Tatsachen. Das Verfahren gegen Wassilev, der mit solch einer drastischen Entwicklung wohl nicht gerechnet hatte, war eröffnet und der Schuldige gefunden. Das Urteil: Entlassung. Doch damit nicht genug. Die Frage, wie viel Geld der Bulgare mitnehmen darf, musste geklärt werden.

Höhepunkt: Wollte Wassilev ursprünglich bis Montag auf Zypern bleiben, beorderte ihn Bertram schon am Samstag nach Berlin zur ultimativen Aussprache zurück. Bereits am Mittwoch verkündete Bertram in Bild, es werde sich um das „letzte“ Gespräch handeln. Sollte Wassilev nicht kommen, stünde die 3. Abmahnung ins Haus, das hieße, der Entlassene müsste ohne Abfindung (etwa 200.000 Euro) gehen. Wassilev hatte 26 Minuten Verspätung, als er um 10.26 Uhr die Geschäftsstelle betrat. Doch die Minuten waren es nicht, die Bertram dazu brachten, den dritten Joker zu ziehen. „Wäre Wassilev nicht in den Urlaub gefahren, wäre er noch unser Trainer“, sagte er nach dem abgekarteten Spiel; „ein leitender Angestellter mit hohem Gehalt und sehr hoher Verantwortung trägt immer das Risiko einer Kündigung, wenn das Engagement fehlt.“

Epilog: Bertram rechnet mit einem Wiedersehen vor dem Arbeitsgericht. Wassilev schaltet heute seinen Anwalt ein. Ob er sich von der Mannschaft, die er ins Pokalfinale gebracht hat und die unter seiner Führung sogar international spielte, verabschieden und leise spassibo sagen darf, war am Sonntag noch nicht klar. Das nächste Spiel findet am kommenden Sonntag gegen Burghausen statt. Vorerst führt Assistenzcoach Iwan Tischanski das Training. Es wird mit einer Verpflichtung von Stefan Kuntz gerechnet. Auch Falko Götz war im Gespräch.

Wirkliche Dramen enden mit einer Katastrophe. So weit ist es bei Union, das ist die gute Nachricht, noch nicht.