der gläserne Trinker von RALF SOTSCHECK
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Als ich die Kneipe betrete, zapft der Wirt sofort ein Guinness an. Aha, denke ich mir, er kennt die Studie von Allied Domecq. Der Schnapskonzern hat nämlich herausgefunden, warum jemand im Wirtshaus ein bestimmtes Getränk bestellt. Das hängt von 192 möglichen Kombinationen von Umständen ab. Und die lassen sich in drei Gruppen einteilen: eine Mischung aus Alter und Geschlecht; der Ort und die Frage, ob eine warme Mahlzeit serviert wird; und schließlich der Gemütszustand des Trinkers. Ein depressiver junger Mann in Brasilien wird also etwas anderes bestellen als eine koreanische alte Frau, die gerade im Lotto gewonnen hat und einen Dackeleintopf verspeist.

Hätte es dazu eine sechs Millionen Pfund teure Studie gebraucht, für die in den USA, in Großbritannien, Brasilien und Korea mehr als 40.000 Menschen befragt wurden? Allied Domecq hat viel vor: Der zweitgrößte Schnapskonzern der Welt möchte mit Hilfe dieser Studie offenbar zum größten werden. Zu seinen Marken gehören Ballantines Whisky, der laut Werbung „für Jung und Alt, für Männer und Frauen, für Gelegenheitstrinker und Genießer“ geeignet ist. Genießer? Es muss „Säufer“ heißen, denn sonst funktioniert das gegensätzliche Bild nicht. Jedenfalls werden jede Sekunde zwei Flaschen von dem Zeug verkauft.

Noch mehr gehen von Kahlúa, der zweitgrößten Schnapsmarke der Welt, über den Ladentisch. Dieses Gesöff gibt es unter dem Motto „Drinks to go“ auch als Fertigmix, zum Beispiel Kahlúa B 52. Ferner gehören Allied Domecq auch der Gin Beefeater, der 1820 von einem Pharmazeuten entwickelt wurde und genau so schmeckt; der schottische Whisky Laphroaig, der besonders gut zu gebackenen Torfsoden passt, sowie der Cognac Courvoisier, den schon Napoleon getrunken haben soll – kurz vor Waterloo. Der Schnapsriese, der voriges Jahr 543 Millionen Pfund Profit gemacht hat, besitzt auch noch die Schnellfutterkette Dunkin’ Donuts.

Allied Domecq fragte sich, warum die Menschen Champagner trinken, wenn es etwas zu feiern gibt? Ja, sollen sie etwa Kahlúa trinken? Mit der Formel Person multipliziert mit Gelegenheit und mit Gemütszustand will Allied Domecq Situationen identifizieren, bei denen der Konzern nicht ausreichend repräsentiert sei oder mit seinem Angebot schief liege, heißt es in dem Bericht. Ballantines auf einem Kindergeburtstag und Eierlikör im Matrosenheim scheiden wohl aus. Darüber hinaus soll die Studie bei der Diversifizierung helfen. Pauschalreisen gen Süden könnten unter dem Malibu-Namen vermarktet werden, Luxusgüter hingegen mit Courvoisier. Und Kopfschmerztabletten als „Beefeater“? Oder US-amerikanische Kampfflugzeuge mit dem Aufdruck „Kahlúa B 52“?

Die Trinkeridentifizierungsformel scheint jedenfalls zu funktionieren. Mein Wirt muss mich kurz taxiert und dann kombiniert haben: Gut gelaunter Mann in den besten Jahren – da kommt nur ein Guinness in Frage. Vielleicht rührte seine Ahnung aber auch daher, dass ich seit zehn Jahren jeden zweiten Abend in seinem Pub verbringe und Guinness trinke.