Ethik mit Onkel Hans-Olaf

Der frühere BDI-Präsident Henkel hat ein schwerwiegendes Büchlein vorgelegt

Auch ohne Schlips bleibt er, was er ist: ein ehrgeiziger Klemmi

Wie Hans-Olaf Henkel sich selbst gern sieht: als einen Mann, der heiße Themen anfasst, die ungeschminkte Wahrheit beim Namen nennt, harten Fakten ins Gesicht sieht, glasklar seine eigene Meinung äußert, unbequeme Fragen stellt, den Herrschenden in der Welt ins Gewissen redet und immer wieder mit absolut neuen und schockierenden Erkenntnissen aufwartet. Wäre Hans-Olaf Henkel nicht bereits Bild-Kolumnist, gäbe er einen Superminister ab, der mindestens die Hälfte der Ministerämter mit links erledigen würde, jedenfalls wenn es nach Bild ginge. Aber weder Schröder noch Stoiber haben diesen Mann in ihr jeweiliges Kompetenzteam aufgenommen, und das ist vielleicht das einzig Gute, was sich über die „terrible twins“ sagen lässt.

Nach seiner Zeit als IBM-Chef und Präsident des BDI hat Hans-Olaf Henkel das Schicksal als Professor der BWL ereilt, noch dazu an der Uni in Mannheim. Das ist hart, selbst für den harten Faktenmann Henkel. Aber wenigstens lassen sich den BWL-Studenten noch Bären aufbinden, von denen Henkel einen unerschöpflichen Vorrat besitzt. Henkel scheint in seinem Beruf nicht sonderlich ausgelastet zu sein, weshalb er sich aufs Bücherschreiben verlegt hat. Das eben erschienene brandneue Buch heißt „Die Ethik des Erfolgs“, und dem kann eins nicht nachgesagt werden, nämlich dass sich ein origineller Gedanke hineinverirrt hat.

Vom Cover strahlt uns ein erschreckend zwanghaftes Grinsen an, das sich nur mit dem eisernen Willen eines eisernen Kreuzträgers ertragen lässt. Ein Foto, das freizugeben eine erstaunliche Resistenz gegen jeglichen Geschmack verrät, weil es auch für Abschreckungszwecke gegen Rinderwahnsinn Verwendung finden könnte. Es ist das bemitleidenswerte Grinsen eines Klassenstrebers mit glühenden Ohren, das geradezu verzweifelt sympathisch zu erscheinen versucht. Auch der Versuch, Lockerheit zu simulieren, gelingt nicht, obwohl Henkel demonstrativ auf eine Krawatte verzichtet hat. Doch auch ohne Schlips wird aus Henkel kein interessanter Mensch, sondern er bleibt, was er ist: ein ehrgeiziger Klemmi, der ständig darunter leidet, wenn er von niemandem beachtet wird. Riefe ihn die Bunte an, versicherte mir ein Kollege und Interviewspezialist sehr glaubhaft, um zu fragen, ob er, Henkel, bei einer Serie über „Prominente und ihren Kaktus“ mitmachen würde, Hans-Olaf Henkel wäre sofort dabei: „Ich habe zwar keinen Kaktus, aber kommen Sie in einer Stunde vorbei, dann habe ich einen.“

Henkels dürftiger Leitgedanke beruht auf einem beabsichtigten Missverständnis. Das ganze Übel in Deutschland rühre daher, dass das „höchste Moralprinzip“ der Deutschen „der Gleichheitsgrundsatz“ sei, und da Gleichheit – so der bestechende Gedanke – alles nivelliere, bilde man im internationalen Vergleich überall das Schlusslicht, und daran seien nicht zuletzt die sozialen Ausgaben schuld, wie zum Beispiel „das finanzielle Monstrum der Pflegeversicherung“. Verständlicherweise sind die meisten Deutschen nicht dieser Ansicht, und das ausnahmsweise mal zu Recht. Fragt sich also, wie sie zu dieser Meinung kommen. „Offenbar wird es ihnen eingeredet“, meint Henkel, unter anderem von den Kirchen, die verkünden, „in Deutschland herrsche nach wie vor verbreitete Armut. Wer jemals“, so fügt Henkel noch hinzu, „in der Dritten Welt wirkliche Armut erlebt hat, fasst sich an den Kopf“, der zweifellos schon aufgrund dieses Kurzschlusses brummt, denn Henkels Moral verströmt hier das ranzige Odeur der Bohnerwachsjahre, als Eltern ihre Kinder zum Verzehr eines harten, quasi evangelischen Butterbrots mit dem Argument zwingen wollten, dass man sich in Afrika die Finger danach abschlecken würde.

Dieser spezifisch deutsche Drang nach Gleichheit „begann vermutlich mit dem Schock, den die Verbrechen des Nationalsozialismus auslösten“, erläutert Henkel sein aus Plattitüden zusammengeflicktes Geschichtsverständnis, welches keinen flachen Gedanken unerwähnt lässt und in der schon von Nazi-Knopp befingerten Frage kulminiert: „Ich fragte mich oft, ob Hitler und die von ihm später ausgelösten [sic!] Verbrechen möglich gewesen wären, wenn es damals schon das Internet gegeben hätte?“ Tja, das sind ebenso dusslige wie sinnlose Fragen, über die Henkel vielleicht heute noch brüten würde, wenn er nicht auch noch andere überaus wichtige Dinge tun müsste, wie etwa Edmund Stoiber vorzuschlagen, „einen Konvent von Sachverständigen und ‚Weisen‘ “ einzuberufen, am besten mit Henkel als Vorsitzendem, um das Grundgesetz zu „überarbeiten“, „damit wir zugleich globalisierungstaugliche Weltbürger werden – und stolz auf unser Vaterland sein können“.

Noch einer, der mit dieser doch eher etwas stumpfen Parole aus dem rechtsradikalen Arsenal glaubt, andere Leute belästigen zu müssen, statt seine peinliche Neigung für sich zu behalten. Ansonsten möchte man lieber nicht so genau wissen, was einem als „globalisierungstauglichem Weltbürger“ unter der Federführung Henkels blühen würde. KLAUS BITTERMANN