Ganz ohne Absicht

An einem Abend mit Fragezeichen wird der vorbestrafte Profiboxer Jürgen Brähmer Interkontinental-Meister

SCHWERIN taz ■ Bevor Jürgen Brähmer in den Ring gerufen wurde, tänzelte er noch etwas nervös auf der Stelle. Wiegte die Schultern. Atmete tief. Dann kletterte er mit Kämpfermiene durch die Boxseile. Die ganze Aufregung war eigentlich nicht vonnöten, wartete dort doch nur Rudi Cerne vom ZDF.

Der Sender spielte an diesem Abend seinen einzigen Trumpf aus und ließ damit den sportlichen Aspekt in der zweiten Reihe sitzen: Jürgen Brähmer, der „Jahrhundertboxer“ aus dem Knast, der am Montag um 8.30 Uhr wieder genau dort erwartet wird, stand live im Ring-Studio. Ein Sportler, der bisher alles gewann, wie auch an diesem Abend seinen 24. Profikampf. Er ist nun interkontinentaler Meister. Er ist aber auch der Schläger, der nach einem Autounfall zuschlug und deshalb wohl in Kürze seine zweite Haftstrafe antreten muss.

Vor Jahren grölte dieser Brähmer in einem Dokumentarfilm rechtsradikale Parolen in die Kamera. Am Samstag in Schwerin sorgte er für etwas Aufregung an einem sonst müden Boxabend. Dass nach ihm, im Hauptkampf, Thomas Ullrich Europameister wurde und zuvor Sinan Samil Sam den ersten EM-Schwergewichtstitel für die Türkei holte, taugte nur zur Randnotiz.

„Sicher hatte diese Sendung ihre Fragezeichen“, sagte Wolf-Dieter Poschmann vom ZDF, war sich aber sicher, „an so einem Kampf nicht vorbeigehen zu können“. Dafür sei der Fall Brähmer ein zu radikales Thema. „Ein Boxer, der sich zwischen einer glänzenden Zukunft und seinem personellen Manko bewegt“, wie es Poschmann formulierte. Er erinnerte daran, dass auch Fußballer in Vorgärten oder Diskotheken zuschlagen und trotzdem am Wochenende wieder im Stadion auflaufen. Die Beurteilung von Brähmers Straftaten obliege seiner Meinung nach „nur den Juristen“. Dass Universum-Manager Hans-Peter Kohl diese vor laufenden Kamera zur Milde anhielt, „um Jürgen nicht den sportlichen Werdegang zu verbauen“, sah Poschmann nicht problematisch. Derart Lobbyarbeit würde von Politikern genauso betrieben, also sei es auch für Kohl legitim, seine Interessen zu artikulieren.

Dieses Artikulieren, das die Poschmanns und Kohls so beherrschen, ist das große Dilemma von Jürgen Brähmer. Sein Manager Kohl sagte zum jüngsten Vergehen seines Boxers: „Der Jürgen kann sich eben nicht so artikulieren. Andere hätte dem anderen Fahrer einfach Geld zugesteckt und das so geregelt. Jürgen kann das nicht. Er macht das, was er am besten kann: boxen.“ Sorgen um die „glänzende Zukunft“ macht er sich übrigens nicht. „Es gibt nur zwei interessante Sorten Boxer, den guten und den bösen“, so Kohl. Mit dem bösen Brähmer könne er daher gut leben.

Das konnten auch die rund 4.000 Zuschauer (knapp 7.000 hätten Platz gehabt) in Schwerin, die Brähmer lautstark empfingen. Pfiffe gab es nur, als Brähmer seinen Gegner Omar Eduardo Gonzales (Argentinien) auch nach der siebenten Runde noch nicht K.o. geschlagen hatte. Brähmer boxte so, als wollte er bereits an diesem Abend gegen keine Bewährungsauflage verstoßen. Trainer Timm freute sich dennoch, „dass Jürgen endlich mal über 12 Runden gehen konnte“. Er will Brähmer in Zukunft durch eine „Ganztagsbetreuung“ von weiteren Straftaten fern halten. „Wir sind alle mitschuldig“, sagte Timm und meinte gar zum jüngsten Vorfall: „Das war auf jeden Fall keine Absicht vom Jürgen.“ Wann Brähmer wieder boxen wird, entscheiden nun die Juristen. DIRK BÖTTCHER