Der alte Schwede fehlt

Der deutsche Handball-Meister THW Kiel findet sich plötzlich am Tabellenende wieder. Der Weggang von Magnus Wislander ist aber nur das i-Tüpfelchen auf der Misere, sagt Manager Uwe Schwenker

aus Magdeburg FRANK KETTERER

Natürlich haben sie die Gäste aus Kiel auch in der ausverkauften Bördelandhalle zu Magdeburg ein wenig geneckt, längst bevor der erste Ball geworfen wurde. „Grüße an den (noch) Meister THW“ haben sie beispielsweise auf ein Stück Leinen gepinselt und in die Höhe gehalten, was gerade noch als einigermaßen freundliche Geste durchgehen könnte. Dass dazu aber auch noch ein paar rote Laternchen geschwenkt wurden, gerade so, als reite gleich der heilige St. Martin durch die Halle, war da doch schon weniger nett und nicht ganz frei von einer mittelgroßen Portion Häme. Auch Uwe Schwenker sind die Girlanden natürlich aufgefallen, groß gestört haben sie ihn allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Er fand das eine eher witzige Idee. Überhaupt findet es der Manager des THW Kiel „ganz normal“, dass seine Mannschaft in den letzten Tagen und Wochen bisweilen mit Hohn und Spott übergossen wurde, nicht nur in fremden Hallen, sondern durchaus auch in den Medien. Erst kürzlich beispielsweise hat ein Reporter festgestellt, die Abkürzung THW stehe auch in der Stadt des amtierenden deutschen Handball-Meisters nicht länger mehr für den altehrwürdigen Turnverein Hassee-Winterbek, sondern ab sofort und wie im Rest der Republik üblich für das Technische Hilfswerk. „So ist eben das Geschäft“, sagt Schwenker mit ruhiger, fester Stimme, und dabei zucken seine Mundwinkel gerade so, als ob ihn sogar ein wenig amüsiere, wie derzeit die ganze Handball-Welt teilnimmt am Schicksal der Kieler Ballsportler – und ihnen fröhlich eine Krise einreden möchte.

Uwe Schwenker hingegen zieht nur kurz die Augenbrauen in die Höhe, wenn man ihm mit dem Gewäsch von der Krise kommt. „Für mich ist es keine Krise“, sagt er dann, und es klingt nicht nur trotzig, sondern auch noch überzeugend. „Eine Krise“, doziert der 53-Jährige dann, „wäre es, wenn wir mit unserem Bestaufgebot und gesunden Spielern da stünden, wo wir stehen.“ Da wo, das ist nach sieben Spieltagen ganz unten in der Tabelle, an ihrem Ende. Da, wo einem die Rote Laterne in die Hand gedrückt wird, eben. Dass das einem amtierenden deutschen Meister widerfährt, mag bemerkenswert sein, automatisch eine Krise, da hat Schwenker schon Recht, lässt sich daraus nicht ableiten. „Die Situation ist erklärbar, das ist ganz wichtig für uns“, sagt der THW-Manager.

An Erklärungen mangelt es Schwenker und seinen Kielern wirklich nicht. Kurz zusammengefasst gehen sie in etwa so: Der spanische Nationalspieler Demetrio Lozano ist nach wie vor wegen eines Kreuzbandrisses außer Gefecht, der dänische National-Linksaußen Nikolaj Jacobsen, Spitzname Zaubermaus, kommt nach seinem Knorpelschaden im Knie und längerer Pause erst wieder in Schwung, Gleiches gilt für Sebastian Preiß am Kreis. Da auch der polnische Nationalspieler Piotr Przybecki sich nach einem Muskelfaserriss noch auf Formsuche befindet, Youngster Florian Wisotzki es nach wie vor mit einem Bänderriss im Knöchel zu tun hat, Schwedens Nationalspieler Stefan Lövgren einen Bandscheibenvorfall auskurieren soll und auch der Rest der Mannschaft immer wieder von kleineren und größeren Wehwehchen geplagt wird, fällt es nicht weiter schwer, sich Schwenkers Sicht der Dinge anzuschließen. „Wir haben uns ja schon letzte Saison humpelnd und mit letzter Kraft ins Ziel gerettet“, sagt der, Besserung ist seither kaum eingetreten, ganz im Gegenteil. „Der Teufelskreis“, wie Schwenker die Situation nennt, ist noch enger geworden. „Wenn man fünf, sechs Spieler hat, die verletzt sind und nicht spielen können, bedeutet das automatisch eine Überbelastung für die, die spielen können.“ Ganz abgesehen davon, dass Trainer Svonimir Serdarusic, seit zehn Jahren beim THW und in dieser Zeit siebenmal deutscher Meister, in den Übungsstunden seltenst genügend Spieler beisammen hat, um wirklich Spielzüge und Taktik trainieren und die Mannschaft einspielen zu können. Was andererseits gerade im Jahr eins nach Magnus Wislander von enormer Wichtigkeit wäre, um den Weggang des „Handballers des Jahrhunderts“ kompensieren zu können. So aber spukt Wislander umher wie Huipuh, das Schlossgespenst, sogar seine Rückkehr aus Göteborg wurde schon herbeigeschrieben. „Es ist doch ganz normal, dass unsere Misere nun daran festgemacht wird“, sagt Schwenker, dabei sei Max, wie sie Wislander in Kiel nennen, lediglich „das i-Tüpfelchen“ auf all die Verletzten.

„Einen Ausnahmespieler wie ihn zu verlieren, ist immer eine schwierige Situation“, sagt Schwenker, aber auch: „Wir waren auf seinen Weggang vorbereitet.“ Soll heißen: Selbst ohne all die Maladen und mit vereinten Kräften wäre es schwer geworden, die Lücke des alten Schweden zu schließen; so war es bisher nahezu unmöglich. „Wislander fehlt in der Abwehr und ist momentan auch im Angriff nicht vollwertig zu ersetzen“, gibt Trainer Serdarusic zu, was nichts anderes heißt als: Max fehlt den Kielern derzeit hinten und vorne. Ob der kroatische Neuzugang Davor Dominikovic den Schweden als Spielmacher irgendwann einmal auch nur annähernd gleichwertig wird ersetzen können, dürfte ohnehin erst die Zukunft zeigen, von Anfang an fest stand, dass dieses Kunststück Zeit braucht. An eine Rückrufaktion von „Max“ haben die Kieler laut Schwenker dennoch nie gedacht. Als „puren Quatsch“ bezeichnet er Gerüchte wie dieses, auch anderweitige Verstärkungen habe man nicht ins Auge gefasst. „Das wäre doch nur Panikmache“, sagt der Manager, und Panik sei so ziemlich das Letzte, in das sie auf dem nach wie vor als Luxusdampfer daherkommenden THW verfallen würden. Da mahnt Schwenker doch lieber zu Ruhe und Besonnenheit. Zumal sich Besserung bereits andeutet, gerade die letzte Woche hat das gezeigt: Am Mittwoch gewann der THW sein Pokalspiel beim Ligakonkurrenten Wilhelmshaven mit 23:21, am Samstag verlor er nur knapp und äußerst unglücklich mit 29:30 beim SC Magdeburg. „Wir wissen, dass wir aus dem Keller rauskommen, auch wenn es vielleicht nicht mehr nach ganz oben reicht“, folgert Schwenker aus Resultaten wie diesen und empfiehlt, „andere Prioritäten“ zu setzen.

Wie das geht, hat ausgerechnet der Gegner vom Samstag erst letzte Saison meisterlich vorgeführt: Auch der SC Magdeburg ging damals zeitweise am Stock, schrieb die Bundesliga deswegen relativ früh schon ab – und konzentrierte sich stattdessen ganz auf die Champions League, die er prompt gewann. „Wenn mir jemand garantiert, dass wir in der Bundesliga Zehnter werden und dafür die Champions League gewinnen, mache ich da sofort einen Haken dran“, sagt Uwe Schwenker. Zur Feier könnten sie ja dann ein paar rote Laternchen aufhängen.