Anthraxterror nicht aufgeklärt

Ein Jahr nach den ersten Milzbrandanschlägen in den USA ist noch kein Täter gefasst. Dem FBI wird unterstellt, geheime Aktivitäten in US-Waffenlabors vertuschen zu wollen

WASHINGTON taz ■ Ein Land jagt ein Phantom. Ein Jahr nach dem Beginn des Anthraxschreckens in den USA ist der Absender der Bioterrorbriefe noch immer auf freiem Fuß, trotz einer der aufwändigsten Fahndungen der US-Kriminalgeschichte. Vergleiche zu der Jagd nach dem berüchtigten „Una-Bomber“ Theodore Kaczyanski, der mit Briefbomben drei Menschen getötet hatte, drängen sich auf. Er wurde erst nach 17 Jahren gefasst, weil ihn sein Bruder verriet.

Es begann Anfang Oktober 2001, als im US-Bundesstat Florida ein Fotoredakteur an Lungenmilzbrand starb. Kaum einen Monat nach den Anschlägen vom 11. September setzte die Furcht vor einer neuen Terrorwelle der ganz anderen Art ein. Selbst in der Poststelle von Tom Daschle, Führer der Demokraten im US-Senat, ging am 15. Oktober 2001 ein mit Antraxsporen gefüllter Umschlag ein. Echte und falsche Anthraxbriefe tauchten fortan auf, vier weitere Menschen starben, es entstand ein ein Klima der Angst. Das Öffnen der Post wurde fortan zur Mutprobe und das Antibiotikum Cipro des Herstellers Bayer zum Verkaufsschlager.

Die Panik ist inzwischen verebbt, doch das Mysterium um den Absender bleibt. Die Fahnder der US-Bundespolizei FBI gaben als Täterprofil einen Einzelgänger mit biotechnischem Wissen aus, der durch seine Arbeit Zugang zu Milzbrandbakterien haben muss. Diese Beschreibung wurde jedoch nicht weiter präzisiert, obwohl die in den Briefen gefundenen Anthraxsporen wertvolle Hinweise geben. Sie gehören zum so genannten Amesstamm, über den nach Angaben von Biowaffenexperten weltweit nicht mehr als 20 Labors verfügen. Zudem mussten die Sporen erst speziell getrocknet werden, damit sie zur tödlichen Waffe werden konnten. In den USA sollen nur vier Labors derartiges „waffenfähiges“ Anthrax herstellen können.

In die Öffentlichkeit ist bislang nur durchgesickert, dass die FBI-Ermittler ein „gesteigertes Interesse“ an rund 30 Personen haben, von denen jedoch keiner als offiziell „verdächtig“ gilt. Die einzig bekannte Person ist Steven Hatfill. Der 48-Jährige arbeitete bis 1999 in einem Forschungsinstitut der US-Armee für ansteckende Krankheiten in Fort Detrick, eine Autostunde nördlich von Washington, wo an biologischen Waffen geforscht wird. Auch mit Amesmilzbrand wurde dort experimentiert. Hatfills Wohnung, die unweit des Instituts liegt, wurde im Sommer von der Polizei durchsucht. Seltsamerweise war das Fernsehen live dabei.

Hatfill beteuert seine Unschuld und sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Der Rufmord hat ihn bereits seinen Job an der Universität von Louisiana gekostet. Dennoch gibt es einige Besonderheiten in seiner Biografie, die das Interesse von Polizei und Öffentlichkeit an ihm begründen. Als Mitarbeiter einer Privatfirma gab er Ende 1999 eine Studie in Auftrag, wie sich Milzbrand per Briefpost verbreiten lasse. Zwei Monate vor den Anthraxanschlägen wurde ihm aus unbekannten Gründen der weitere Zugang zum Militärinstitut in Fort Detrick verboten. Und noch ein Detail macht stutzig. Hatfill studierte früher in Simbabwe in der Nähe des Ortes Greendale. Die Anthraxbriefe an die Senatoren Tom Daschle und Patrick Leahy trugen den Absender: Greendale School, Franklin Park, New Jersey. Eine solche Schule gibt es aber in diesem US-Bundesstaat nicht.

Da Hatfill nicht im juristrischen Sinne als „Verdächtiger“ gilt, stellt sich die Frage, warum die Hausdurchsuchung TV-gerecht in Szene gesetzt wurden. Es bleibt Spekulation, dass damit von der Kritik an den mageren Ermittlungsergebnissen abgelenkt werden sollte: Manche Experten werfen den Ermittlern vor, das FBI kenne längst den Täter, lasse ihn aber unbehelligt, damit „geheime Aktivitäten“ der US-Regierung in der Biowaffenforschung nicht ans Licht kämen. MICHAEL STRECK