Wenn es um die Ehre geht

PKK-Funktionär gab Befehl, Kurdenpaar zu töten. In erster Instanz urteilten Bremer Richter wegen „sozialer Zwänge“ nur auf Totschlag. Ab heute wird neu verhandelt

FREIBURG taz ■ Vor dem Bremer Landgericht wird ab heute der Tod eines kurdischen Liebespaars neu aufgerollt. Als Täter müssen sich drei Männer aus dem Milieu der verbotenen Kurdenpartei PKK verantworten. In einem ersten Prozess waren sie wegen Totschlags zu Haftstrafen von 13 bis 15 Jahren verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte im Februar jedoch eine Verurteilung wegen Mordes gefordert.

Ayse Dizim (18) und Serif Alpsozman (23) waren im August 1999 am Weserufer getötet worden. Die drei im wesentlichen geständigen Täter erstickten die Frau im Schlick. Ihren Partner erschlugen sie mit einem Werkzeugschlüssel und überfuhren ihn dann mit dem Auto.

Die Eltern von Ayse Dizim waren gegen die Beziehung der beiden, weil Alpsozman im Rollstuhl saß – er war als PKK-Kämpfer in der Türkei schwer verwundet worden. Als die beiden jungen Leute eigenmächtig zusammenzogen und später sogar heimlich heirateten, sah Vater Dizim die Familienehre beschmutzt. Er wandte sich an die PKK, damit sie ihren Kämpfer zur Räson bringe. Die PKK sah eine Gelegenheit, ein Exempel gegen den von ihr beklagten Rückzug ins Private zu statuieren. Als das Paar die geforderte Trennung verweigerte, gab ein Gebietsverantwortlicher den Tötungsbefehl.

Die Täter wurden bald gefasst und in Bremen vor Gericht gestellt. Doch das Landgericht verurteilte sie nur wegen Totschlags, nicht wegen Mordes. Bei einer Gesamtwürdigung müssten auch die „Wertvorstellungen und sozialen Zwänge“ der Angeklagten berücksichtigt werden, argumentierten die Richter. Eine Trennung von Dizim und Alpsozman sei, so das Gericht, aus Sicht eines großen Teils der kurdischen Bevölkerung vor Ort notwendig gewesen. Dabei sei nach den „archaischen Sitten- und Wertvorstellungen“ der Beteiligten auch eine Tötung des Paares erlaubt gewesen, wenn nur so die Ehre der Familie Dizim wiederhergestellt werden konnte.

Inzwischen hat der Bundesgerichtshof (BGH) diesen Richterspruch aufgehoben und eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. In der Vorstellungswelt der Täter sei zwar eine Maßregelung, nicht aber die Tötung des Paares angebracht gewesen. Die drei Männer hätten schließlich nach eigenen Angaben mit Entsetzen reagiert, als der Tötungsbefehl kam, erklärten die Richter des Bundesregichtshofes. Zwar hätten im Falle einer Befehlsverweigerung durchaus Sanktionen bis hin zur Ausgrenzung aus der kurdischen Gemeinschaft gedroht.

Jedoch sei die furchtbare Tat, die die Männer dann ausführten, ungleich schlimmer gewesen – weshalb der BGH bei allen drei Tätern das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ konstatierte. Nach der eindeutigen Vorgabe aus Karlsruhe wird nun wohl auch das Landgericht Bremen auf „Mord“ erkennen.

Damit hat das oberste deutsche Strafgericht aber eine relativierende Auslegung der Mordvorschrift im Strafgesetzbuch nicht generell abgelehnt. Nach wie vor gilt das Grundsatzurteil von 1994, wonach Blutrache lediglich als Totschlag gewertet werden kann, wenn der Täter in einem Kulturkreis verwurzelt ist, in dem Blutrache geduldet oder sogar gefordert wird. Diese Rechtsprechung ist aus der Sicht des deutschen Strafrechts, das sich an der individuellen Schuld orientiert, durchaus nachvollziehbar. Wer wegen seines kulturellen Hintergrunds nicht in der Lage ist, die besondere Verwerflichkeit einer Tat zu erkennen, wird milder beurteilt. Die Gerichte sind allerdings umso weniger bereit, Ehrvorstellungen aus dem Herkunftsland zu berücksichtigen, je länger ein Täter in Deutschland lebt.

CHRISTIAN RATH