Hausgemachter Fundamentalismus

Die Ursachen für religiös inspirierte Gewalt in Indonesien liegen in der jahrzehntelangen Unterdrückung. Die Anschläge dürften die Regierung in Jakarta dazu nötigen, gegen radikale Islamisten vorzugehen

BERLIN taz ■ Indonesien ist in den vergangenen Jahren immer wieder von Gewalt erschüttert worden. Die Ursachen waren oft sozialer Natur, sie äußerten sich jedoch religiös verbrämt. Oder sie standen im Zusammenhang mit Unabhängigkeitsbewegungen und deren Unterdrückung. Das mehrheitlich hinduistische Bali blieb im Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt, dessen Hauptströmung ein toleranter und moderater Islam ist, immer eine Oase des Friedens. Warnten ausländische Regierungen gelegentlich vor Reisen nach Indonesien, so wurde Bali davon stets ausgenommen. Da die Insel vom Tourismus lebt, ist es unwahrscheinlich, dass die Täter von dort kamen und es sich etwa um „normale“ Schutzgelderpresser handelte.

Auffällig ist jetzt nicht nur die hohe Zahl westlicher Opfer, sondern auch das Datum. Der 12. Oktober ist der zweite Jahrestag des Selbstmordanschlags auf den US-Zerstörer „USS Cole“. Damals starben beim Zusammenstoß eines mit Sprengstoff gefüllten Bootes im jemenitischen Hafen Aden 17 US-Soldaten. Die USA machen dafür die al-Qaida von Ussama bin Laden verantwortlich.

Verbindungen von al-Qaida zu indonesischen Islamisten hat die Regierung in Jakarta stets bestritten. In den letzten Wochen hat es jedoch ein Umdenken gegeben. Ausschlaggebend war die Verhaftung des Kuwaiters Omar al-Faruk in Indonesien Anfang Juni. Faruk galt als Einsatzchef al-Qaidas in Südostasien und wurde kurz nach seiner Verhaftung den US-Behörden übergeben. Die verhörten ihn laut dem US-Magazin Time wochenlang auf der afghanischen US-Basis Bagram bei Kabul und brachten ihn durch folterähnliche Methoden wie Schlaf- und Essensentzug dazu, dass er Anfang September auspackte.

Faruks Aussagen führten nicht nur zur vorübergehenden Schließung der US-Botschaft in Jakarta um den Jahrestag des 11. September und zur Verhaftung des ägyptischstämmigen Deutschen Seyam R. in Jakarta am 18. September, der Verbindungen zu al-Qaida haben soll. Faruk bezichtigte laut Time auch den indonesischen Islamgelehrten Abu Bakar Bashir der Verantwortung für Terroranschläge in Indonesien und behauptete, dessen Organisation Dschamaat-i-Islami sei der indonesische Ableger von al-Qaida. Australiens Außenminister Alexander Downer verdächtigte Dschamaat-i-Islami gestern öffentlich des Anschlags auf Bali.

Laut Faruk stand Bashir bereits hinter dem Bombenanschlag auf eine Moschee in Jakarta 1999, mit dem Muslime zum Angriff auf Christen ermuntert werden sollten, und hinter Anschlägen auf Kirchen an Weihnachten 2000, bei denen 18 Menschen starben. Der 64-jährige Bashir, der bei Solo auf Java eine Koranschule führt und dem radikalen Rat der indonesischen Gotteskrieger (MMI) vorsteht, weist die Vorwürfe zurück. Er macht zwar keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Bin Laden und seinem Ziel, in Indonesien einen Gottesstaat zu errichten, was nicht strafbar ist. Aber er habe weder jemals Faruk getroffen noch gebe es eine Organisation namens Dschamaat-i-Islami.

Die Regierungen in Malaysia und Singapur machen Bashir schon länger für geplante Terroranschläge verantwortlich und fordern von Indonesien, wo er unbehelligt lebt, seine Auslieferung. Die US-Regierung will nach Zeitungsberichten Dschamaat-i-Islami auf ihre Liste terroristischer Organisationen setzen, doch wollte sie vorab der Regierung von Megawati Sukarnoputri die Chance geben, selbst gegen Bashir und Dschamaat-i-Islami vorzugehen. Dazu wurde eigens eine hochkarätige Emissärin von Washington nach Jakarta geschickt, die der Regierung Material vorlegte. Washington vermied öffentlichen Druck auf Indonesiens Regierung, um diese gegenüber einer US-kritischen Bevölkerungsmehrheit nicht als US-Marionette erscheinen zu lassen und um die Widersprüche in der Regierung nicht zu verschärfen. Denn Megawatis Stellvertreter Hamzah Haz ist selbst Islamist.

Die Anschläge dürften den Druck auf Megawati erhöhen, gegen mutmaßliche Al-Quaida-Zellen vorzugehen, und damit Proteste von Islamisten und Menschenrechtlern provozieren. In einem Bericht über Dschamaat-i-Islami und mögliche Verbindungen zu al-Qaida stellt die International Crisis Group fest, dass die Gruppe, die nur als loses Netz beschrieben wird, erst durch die Unterdrückung der Suharto-Diktatur an Stärke gewann und heute viele repektierte Personen einschließt. SVEN HANSEN