Der böse nette Onkel

Landgericht verhandelt gegen 53-Jährigen, der trotz Kastration immer wieder 9- bis 12-jährige Mädchen sexuell missbrauchte und vergewaltigte

„Es gibt da etwas, was ich nicht steuern kann. Aber ich habe auch Fehler begangen.“

von ELKE SPANNER

Der Kopf bestimmt, nicht die Geschlechtsteile. Günter W. hatte sich sogar kastrieren lassen, weil „es da etwas gibt, was ich nicht steuern kann“. Dennoch versuchte er weiterhin, Kinder sexuell zu missbrauchen und zu vergewaltigen. Er hat Testosteron-Tabletten geschluckt, und die haben bewirkt, was er durch die Operation zuvor gerade vermeiden wollte. 29 Mal hat er sich laut Staatsanwaltschaft zwischen Oktober 2001 und Februar dieses Jahres an 9- bis 12-Jährigen vergangen. Seit gestern steht er vor dem Hamburger Landgericht.

Günter W. war der klassische böse Onkel im netten Gewand. Weißes Haar, grauer Vollbart, wegen eines Rückenleidens mit Krückstock unterwegs. So stand er laut Anklage öfters am Straßenrand, zu einer Zeit, in der Schulkinder auf dem Weg nach Hause sind, und sprach Mädchen an. Er bot ihnen an, dass sie sich um seinen kleinen Hund kümmern dürften. Er behauptete, der sei zu Hause in seiner Wohnung.

Er nahm sie dorthin mit, und als die Mädchen die Wohnung betreten hatten, schloss er diese ab und zwang seine Opfer zu sexuellen Handlungen. Einmal hatte er drei Mädchen zusammen zu sich mitgenommen. Zwei mussten zusehen, während er ihre Freundin missbrauchte, dann kamen sie selbst dran.

Günter W. spricht im Gericht eine Entschuldigung aus, gewandt an die Mutter eines der Mädchen, die als Nebenklägerin im Gerichtssaal sitzt. „Ich möchte Ihnen sagen, dass es mir sehr Leid tut“, sagt der 53-Jährige. Der ehemalige Seemann beteuert, dass er zu dem steht, was er getan hat. Dass er die Verantwortung nicht auf seine eigene Kindheit im Erziehungsheim und auch nicht allein auf seine „Veranlagung“ schieben will. Er sagt aber auch immer wieder, dass er „das nicht steuern kann: Sie müssen nicht denken, ich gehe aus Spaß raus und missbrauche Kinder“. Wenn er jetzt wieder diese Tabletten nehmen würde, sagt er, „würde ich es wieder tun“. Obwohl er die Verantwortung für seine Taten übernehmen will, beschränkt er diese damit in seiner Darstellung auf die Entscheidung, Testosteron zu schlucken. „Ich habe Fehler begangen“, sagt Günter W. und meint damit, dass er „nicht durchschaute, was diese Tabletten bewirken.“

Günter W. hat immer wieder im Gefängnis gesessen, zwölf Jahre insgesamt. Zur Kastration hatte er sich nach seiner ersten Verurteilung entschieden. Das war 1987. Schon als Kind und Jugendlicher aber ist er mit seinen sexuellen Neigungen aufgefallen. Als Kind durch „übertriebene Doktorspiele“, wie er sagt. Deswegen kam er ins Heim. Als er 14 war, tauchte zum ersten Mal der Vorwurf „Unzucht mit Kindern“ in seinen Akten auf.

Es folgen zahlreiche Verurteilungen, zumeist wegen sexuellem Missbrauch und Fahrens ohne Führerschein. Er kommt ins Gefängnis, kommt wieder raus, wird rückfällig und wieder inhaftiert. Hinter Gittern wird er eingeschlossen, mehr nicht. Keine Psychotherapie, keine ärztliche Behandlung. Auf die Kastration hat er selbst gedrängt. Aber auch anschließend, sagt er, hat er keine Hilfe gehabt. Er hat Depressionen bekommen und Angst, dass die Kastration seine Lebenserwartung mindere, das habe er irgendwo gehört. Allein deswegen, beteuert Günther W., habe er die Hormontabletten geschluckt.

Der Prozess wird heute fortgesetzt.