Ein menschlicher Zug

Durch einen groben Patzer von Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik gewinnt der ComputerDeep Fritz beim Duell Mensch gegen Maschine in Bahrain seine erste Partie und verkürzt auf 2:3

von HARTMUT METZ

„Das ist der Unterschied zwischen Menschen und Computern: Menschen haben Blackouts“, kommentierte Wladimir Kramnik seine erste Niederlage in einem Wettbewerb gegen ein Schach-Programm. In Manama, der Hauptstadt Bahrains, verkürzte Deep Fritz in seiner bisher besten Partie gegen den Weltmeister auf 2:3. Allerdings bedurfte es eines Aussetzers des Russen, um den ersten Sieg zu feiern.

Kramnik hatte in den Berechnungen zu seinem 34. Zug rasch entdeckt, dass ihn der Damenzug nach c4 einen Springer kosten würde. Deshalb suchte er nach anderen entlastenden Zügen, die jedoch alle in ein „extrem unangenehmes Endspiel“ mündeten. Um dieses Gespenst einer langen Endspielqual zu vertreiben, unterlag Kramnik einem typischen Reflex von Schachspielern: Sie kehren plötzlich zu alten Berechnungen zurück und führen spontan den schlechten Zug aus, obwohl sie ihn ob seiner mangelnden Güte verworfen hatten. „Nach einiger Zeit kam ich wieder auf Dame nach c4 zurück und zog sofort. So etwas kann immer wieder passieren. Menschen patzen eben zuweilen“, analysierte ein unaufgeregter Weltmeister sein seltenes Missgeschick, als er noch über eine Viertelstunde Bedenkzeit für sechs Züge besaß. Der 27-Jährige ergänzte: „Computer erinnern sich eben an alles, das macht die Sache schwieriger.“ Und natürlich brauchte Deep Fritz keine Sekunde, um zu entdecken, wie er in zwei Zügen den Springer und damit die Partie gewinnen kann. Der Großmeister vom Schwarzmeer ließ sich lediglich noch das fatale Springerschach auf e7 zeigen und streckte dann umgehend im 35. Zug die Waffen.

Das Team der Programmier der Hamburger Firma Chessbase atmete nach dem ersten Sieg erleichtert auf. Ihre zur Halbzeit zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, „ein paar Überraschungen in den letzten vier Partien landen zu können“, erwies sich nicht als bloßes Pfeifen im Wald. Die Gefahr eines Debakels, das sich bis zum 1:3 abzuzeichnen schien, wurde gebannt. Der Niederländer Frans Morsch, Erfinder des weltweit beliebtesten Schach-Programms Fritz, sah sich durch die fünfte Partie bestätigt. Erstmals konnte sein Geisteskind den Abtausch der stärksten Figur, der Dame, verhindern. Schon spielte Deep Fritz „viel effektiver“.

Kramnik hatte die Abwicklung in ein Endspiel mit jeweils einer Dame und vier weißen gegen drei schwarze Bauern auf einem Flügel des Brettes verworfen. Gegen einen Kontrahenten aus Fleisch und Blut hätte er dabei gute Remischancen. Doch ein Silikon-Monster spielt wegen seiner Rechengewalt eine solch übersichtliche Position mit wenigen Steinen nahezu perfekt und nutzt den kleinsten Fehler aus. In den ersten vier Duellen war es Kramnik stets gelungen, Eröffnungen aufs Brett zu zaubern, in denen es zum frühen Damentausch kam. Die Dame ist im Schach die mit Abstand stärkste Figur. Optimal im Zentrum des Brettes platziert, kann sie bis zu 27 der 64 Felder kontrollieren. Türme (14) oder Läufer (13), deren Zugrechte die Dame kombiniert, bringen es nur auf rund die Hälfte. Der Variantenbaum schwillt wegen der Damen bei den Computer-Berechnungen exorbitant an. Bei 20 Zugmöglichkeiten einer Dame ergeben sich bereits nach nur 8 Zügen allein 25,6 Milliarden unterschiedliche Varianten! Neben dem linkischen Springer, der zwar nur maximal acht Felder kontrolliert, aber als einzige Figur mit seiner ungewöhnlichen Zugweise über Freund und Feind hüpfen darf, ist die Dame daher für den Menschen die am schwersten zu berechnende Schachfigur. Deshalb entgeht dem Neuronenhirn bei Damen mehr als dem Elektronenhirn.

Während andere nach Niederlagen aufgeregt sind, blieb der 1,95 m große Russe seinem Spitznamen treu: „Eisberg“. Zu viel Hoffnung sollten sich die Chessbase-Leute nicht machen. Zwar scherzte Kramnik, er sei nach fünf der acht Partien „vielleicht ein bisschen müder“ als der Computer – aber gleichzeitig berichtete er: „Ich patze nicht oft. Für mich ist die Niederlage kein großes Problem, ich muss nur konzentrierter sein.“ Gelingt das dem Eisberg, muss sich Deep Fritz in den letzten drei Spielen wieder warm anziehen.