Ein Finanzminister auf Umwegen

Schröder, Clement, die Grünen und die Wirtschaftsmisere setzten Hans Eichel in den Koalitionsverhandlungen zu. Er wurde gezwungen, seine Sparpolitik zu modifizieren. Aufgegeben hat er sie keineswegs. Und demontiert ist er noch lange nicht

von HANNES KOCH

In seiner jüngsten Bundestagsrede hat Finanzminister Hans Eichel eine richtige Prognose abgegeben – und eine falsche. „Sie bleiben in der Opposition“, wetterte er gegen die CDU. Stimmt. Das Wahlergebnis gab ihm Recht. Eichel sagte aber auch: „Und wir werden unseren Kurs konsequent fortsetzen.“

Diesen rhetorischen Kunstgriff haben ihm Grünen-Parteichef Fritz Kuhn, SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und der künftige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement mittlerweile gründlich vermasselt. Die drei haben am Wochenende ungestraft erklärt, was noch vor einem Jahr für ein politisches Todesurteil ausgereicht hätte: Deutschland darf mehr Schulden machen! Das scheint so ungefähr das Gegenteil von dem zu sein, was Hans Eichel immer propagierte.

Wenn es ein Ereignis gibt, das die politische Öffentlichkeit während der vergangenen Tage umgetrieben hat, so ist es der vermeintliche Abstieg des Bundesfinanzministers ins zweite Glied der Regierenden. Als deutliches Signal dafür erscheint die offensichtliche Abkehr von der unbedingten Sparpolitik, die Eichel seit 1999 zu seinem Markenzeichen entwickelt hat.

Gespeist wurde der Abgesang zusätzlich mit Berichten aus dem engen Kreis der rot-grünen Verhandler: Eichel nerve seinen Kanzler zusehens, der könne die ewigen Moralappelle nicht mehr hören, hieß es immer wieder. Und die Grünen hätten sogar versucht, gegen Eichel zu „putschen“.

Doch die Clement-Top-Eichel-Flop-Geschichte stimmt so nicht. Weder zeitigten die Koalitionsverhandlungen einen abrupten Wechsel der politischen Prioritäten, weder ist dieser Wechsel Produkt eines Machtkampfes, den Ausgaben-Politiker Clement und die Grünen gewonnen hätten, noch steht Eichels Politik der Konsolidierung grundsätzlich zur Disposition. Zu beobachten ist eine ganz allmähliche Verschiebung des Akzents, eine Flexibilisierung der Sparpolitik – aber keine Abkehr von ihr. Der Wandel ist schon länger im Gange. So hatte das Hochwasser des Spätsommers nicht nur die Deiche aufgeweicht, sondern auch einen von zwei Pfeilern der Eichel’schen Politik unterspült: Die nächste Stufe der Steuerreform – mit einer Senkung der Tarife für Anfang 2003 geplant – wurde im Handumdrehen verschoben, um die Beseitigung der Flutschäden zu finanzieren.

Nun, zwei Monate später, modifiziert Rot-Grün auch die Sparpolitik. Die deutsche Regierung vollzieht allerdings nur nach, was bei der EU in Brüssel sowieso schon Stand der Dinge ist: Ein nahezu ausgeglichener Staatshaushalt wird nicht mehr für 2004, sondern erst für 2006 angestrebt. In der Zwischenzeit dürfen die einzelnen Länder die Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausnahmsweise überschreiten, wenn die schlechte Konjunktur es erfordert.

Der 1992 in Maastricht geschlossene Pakt zur Gründung der Währungsunion gilt aber nach wie vor und wird teilweise sogar verschärft. Damit ist auch die grundsätzliche Politik weiter in Kraft, den Anteil des Staates am Wirtschaftsgeschehen zu drücken, die direkten Steuern zu senken und die Stabilität der gemeinsamen Währung Euro in den Vordergrund zu stellen. Maastricht und die Folgen sind zu große Nummern, als dass sie von einer kleinen Koalitionsverhandlung in einem Mitgliedstaat der Union hinweggespült würden.

Mit der neuen Akzentuierung der Finanzpolitik beschreitet Hans Eichel keinen Abweg, sondern einen Umweg. Der Eindruck des Politikwechsels entsteht freilich dadurch, dass der Finanzminister sich monatelang in fast ideologischer Prinzipientreue zu seinen Prämissen bekannt hat. Nun muss die rot-grüne Regierung in der kommenden Zeit das nachvollziehen, was die schlechte Konjunktur von ihr verlangt: nämlich mit kreditfinanzierten Ausgaben der Wirtschaft wenigstens etwas unter die Arme greifen, damit die nächste Rezession vermieden werden kann.

Weil Eichel zu diesem Schwenk nicht rechtzeitig selbst in der Lage war, ist er jetzt geschwächt, aber noch nicht gefallen. Ob es dazu kommt oder nicht, hängt von dem Maß an Flexibilität ab, das der Finanzminister in der nächsten Zeit an den Tag legen kann und will.