Na also!

DAS SCHLAGLOCH    von MICHAEL RUTSCHKY

Im buchstäblich letzten Moment putschten sich Schröder/Fischer wieder an die Macht

Zwei Wochen nach der Bundestagswahl nimmt die Auseinandersetzung innerhalb der Union um die Forderung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Angela Merkel nach einem liberaleren Kurs zu. Dabei liegen die Meinungen führender Christdemokraten zum Teil weit auseinander. Während einige, allen voran Brandenburgs Innenminister Schönbohm, vor dem „Verscheuern konservativen Tafelsilbers“ warnen, schließen sich andere der Forderung Merkels nach einer Modernisierung der Partei an. „Süddeutsche Zeitung“ vom 7. Oktober 2002

Die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Carl Schmitt, „Der Begriff des Politischen“ (1932)

Ein Weilchen möchte ich mich doch noch dabei aufhalten, dass am 22. September Dr. Stoiber und die Seinen die Parlamentswahl verloren. Dass sie gewinnen würden, damit hatte man uns allzu lange in den Ohren gelegen. Das Quäntchen Schadenfreude muss erlaubt sein; dass der Triumphsatz des Kompetenzkandidaten, „wir haben die Wahl gewonnen“, halt falsch war.

So intensiv auch diese Zeitung sich vor dem 22. September zu erklären bemühte, warum Rot-Grün scheiterte, hätten Schröder/Fischer die Wahl tatsächlich verloren, wir stünden jetzt unter Schock. Das gründlich Unsympathische des Kandidaten und seiner Entourage (Beckstein! Goppel!) würde uns ein schweres Entfremdungsgefühl verpassen, „dies ist eine andere Republik!“. Dass Bundeskanzler Stoiber dann gar keinen so gründlich anderen Kurs fahren würde als sein Vorgänger – so wie Bundeskanzler Kohl die Ostpolitik fortsetzte und die „geistik-moraliche“ Wende, die uns in unserer Existenz bedrohen sollte, ausblieb –, das hätte uns zwar die Rückkehr in den Alltag erleichtert; aber die Selbstverständlichkeit, mit der wir davon ausgehen, dass die „Berliner Republik“ auch die unsere sei, diese Selbstverständlichkeit wäre in andauerndem Misstrauen zergangen.

Liest man mal wieder Carl Schmitts diabolische Abhandlung über das Politische mit ihrer „seinsmäßigen“, wie Schmitt sagt, Unterscheidung von Freund und Feind, so imponiert heute, wie unterkomplex Schmitt verfuhr. Statt die Unterscheidung und ihre Transformationen bis in das Verhältnis von rechts und links, von Regierung und Opposition, von Hegemonial- und Subkultur zu verfolgen, interessiert sich Carl Schmitt eigentlich bloß für Krieg und Bürgerkrieg, die, schaut man genauer hin, Freund und Feind letztendlich abschaffen und einen homogenen Staats- und Völkskörper herstellen sollen. Das Politische im Sinne der Freund-Feind-Unterscheidung möge gleich wieder verschwinden.

Ich gebe zu, dass ich dem Bayerischen fremd, wenn nicht feindselig gegenüberstehe. Das habe ich mir seinsmäßig in fünf Jahren Münchner Exil, die mich fast das Leben gekostet hätten, erworben. Die hoch erstaunten Berichte, die man in nördlichen Zeitungen jetzt wieder über das keltisch-ekstatische Oktoberfest lesen konnte, bekräftigen nicht gerade die Idee, die Nation sei ethnisch homogen. „Und das wollen auch Deutsche sein?!“, pflegt Vater Kempowski, Hanseat aus Rostock und dem Vaterländischen durchaus zugeneigt, im Romanwerk seines Sohnes über Bayern (aber auch Hessen und Thüringen) immer wieder zu rätseln. Jede Gelegenheit, den Bundeskanzler im Trachtenanzug und mit Rasierpinsel am Hut zu bewundern, hätte uns zu gepeinigtem Gelächter veranlasst.

Die ethnischen Unterschiede werden natürlich durch religiöse noch bestärkt. So spielt in der Bundesrepublik keine geringe Rolle, ob man katholisch oder evangelisch ist – auch wenn man gar nicht praktiziert. Wie sich die römische Kirche (und die CDU/CSU) zur so genannten Homoehe stellt, das hat in den Diskussionen, die Angela Merkel und die Ihren jetzt anzetteln, erhebliches Gewicht; insgesamt kristallisiert sich an der Kirche, wenn sie sich zur einzigen moralischen Autorität aufzubauen strebt, viel von dem Freund-Feind-Spiel an, um es vornehm zu sagen. Seit 1990 kam als bedeutende und durchaus seinsmäßige Unterscheidung auch noch die von Ost und West hinzu.

All diese Unterscheidungen in ein kultiviertes Spiel der Feindseligkeiten zu transformieren, ist eine Aufgabe des politischen Prozesses. Und das machte, für meinen Geschmack, halt den Wahlkampf des bayerischen Kandidaten für unsereinen so bedrohlich: dass er sich gar nicht um das Regierungsamt bewarb, sondern so auftrat, als stünde es ihm und den Seinen ohnedies seit je zu. Die immerwährende Einparteienherrschaft mag Bayern glänzend bekommen, aber daraus leitet sich kein Mandat für die Bundesrepublik ab.

Kein Lager besitzt die Mehrheit für immer und kann so die Feindseligkeiten monopolisieren

Was in die Unterscheidung von Freund und Feind, parlamentarisch kultiviert, halt hineinspielt, ist die Unterscheidung von links und rechts. Carl Schmitt neigte zu der Annahme, dass eine erfolgreiche Zentralregierung voraussetzt, alle Kräfte versammeln sich an einem Pol – in den Zwanzigern, als alle Rechten zuweilen auf die Sowjets setzten, liebäugelte er spaßeshalber auch mal damit. Aus dem Bürgerkrieg kann systematisch nur einer als Sieger hervorgehen, und der muss im Interesse der Homogenität die Anhänger der anderen Partei ausschalten. Wie das nach 1933 geschah, ist bekannt. Die Rechte, die nach 1945 so lange und so erfolgreich – und von dem verbitterten Carl Schmitt angelegentlich beraten – die Bundesrepublik regierte, wusste immerhin, dass man dafür immer wieder die Wahlen gewinnen musste.

Aber sie gewöhnte sich an, das für eine Art Ritual zu halten; die berüchtigte „strukturelle Mehrheitsfähigkeit“ sicherte ihr die Regierungsmacht, und für die anderen blieb nur das Gegenhalten, die Opposition übrig. Dass 1969 und 1972 Brandt und Scheel gewannen, es ist jetzt oft beschrieben worden, wie fassungslos die CDU/CSU darauf reagierte: als hätte eine Art Staatsstreich stattgefunden, der den legitimen Herrscher seiner angestammten Macht beraubt. Ein wenig – ist jetzt beschrieben worden – schien auch Dr. Stoiber davon überzeugt; innert eines Jahres kehrt er an die Macht zurück, wie er mitteilt. Die demoskopische Magie hatte ihn ja die ganze Zeit in dem Rechts-links-Schema bestärkt. Im buchstäblich letzten Moment putschten sich Schröder und Fischer an die Macht …

So dürfen wir uns auf die Schulter klopfen und noch ein bisschen feiern. Schröder/Fischer gelang es, dass Rechts-links-Schema zu suspendieren (demzufolge die CDU/CSU regiert und die SPD opponiert). Kein Lager besitzt die Mehrheit für immer und kann so die Feindseligkeiten monopolisieren – was einen außerordentlichen Fortschritt im Zivilisationsprozess anzeigt. Das Spiel der Feindseligkeiten ist grundsätzlich offen und wird nur von Fall zu Fall entschieden. Fast möchte Patriotismus aufkommen: Im westlichen wie im östlichen Ausland habe ich mir dies Jahr immer wieder erklären lassen, dass die BRD sich eigentlich doch sehr gut macht.