Agrarstreit bei weitem nicht beendet

Schröder und Chirac können sich nicht über Subventionen einigen. Grüner fürchtet Abzwacken etwa für Eingreiftruppe

PARIS/BRÜSSEL taz/afp ■ Wenige Wochen vor dem endgültigen Beschluss über die geplante EU-Erweiterung hält zwischen Berlin und Paris das Tauziehen um die finanziellen Folgen an. Nach einem informellen Gipfel mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Montagabend im Élysée-Palast sagte der französische Präsident Jacques Chirac, zur Überbrückung der Differenzen seien zwei weitere Treffen vereinbart worden. Der Streit betrifft vor allem die Milliardenhilfen für die Landwirtschaft.

Die Fortführung der Milliardensubventionen über 2006 hinaus sei „genau der Punkt“, bei dem es zwischen Deutschland und Frankreich noch Gesprächsbedarf gebe, sagte der Kanzler nach dem Arbeitsessen. Die Einigung werde „in jedem Fall“ beim übernächsten EU-Gipfel in Kopenhagen erreicht, bei dem am 12. und 13. Dezember die Aufnahme von zehn neuen Staaten in die EU beschlossen werden soll, sagte der Kanzler.

Nach der EU-Erweiterung würde die Zahlung der Agrarhilfen nach bisher in der EU üblichem Muster in den Beitrittsstaaten ab 2004 Milliardenkosten verursachen. Die Neumitglieder sollen diese Hilfen daher nicht in voller Höhe erhalten. Es gälte also zweierlei Recht innerhalb der EU. Schröder erwartet von Paris ein deutliches Signal, dass die Hilfen in den bisherigen EU-Staaten ab 2006 reduziert werden sollen.

Eigentlich wollte der EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler (Österreich) schon ab dem kommenden Jahr die Agrarsubventionen umschichten: Künftig sollte nicht nur die produzierte Menge für die Höhe der Subventionen maßgeblich sein, sondern auch die Art der Bewirtschaftung – ob umweltschonend, ob mit hoher Wertschöpfung und vielen Arbeitsplätzen in den ländlichen Regionen und so weiter. Die deutsche Agrarministerin Renate Künast (Grüne) sowie ihre nordeuropäischen Kollegen wollten Fischler überwiegend dabei unterstützen. Frankreich, Belgien und Südeuropa sind überwiegend gegen eine Reform. Der laufende Subventionsplan, die Agenda 2000, gilt bis 2006.

Sollten Deutschland und Frankreich sich tatsächlich darauf verständigen, die Agrarreform bis 2007 aufzuschieben, wäre das ein fatales Signal in Richtung der neuen Mitgliedsländer. Denn Agrarkommissar Fischler hatte seine Erneuerungspläne unter anderem mit Blick auf die Erweiterungsrunde 2004 begründet. Wenn das Prinzip „Klasse statt Masse“ nicht jetzt eingeführt werde, würden im Osten neue Agrarfabriken herangezüchtet.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Graefe zu Baringdorf, kritisierte deutsch-französische Gedankenspiele, mögliche Einsparungen bei den Produktionssubventionen nicht für die Entwicklung des ländlichen Raums einzusetzen, sondern in andere Haushaltstitel – zum Beispiel den Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe – umzulenken. „Das torpediert die Reform“, sagte Graefe zu Baringdorf gegenüber der taz. Es sei „eine sehr gefährliche Entwicklung, den Agrarhaushalt als Steinbruch zu benutzen“.

Zu befürchten ist außerdem, dass die Reformbereitschaft in der osteuropäischen Landwirtschaft dadurch geschwächt wird. Bei einer Pressekonferenz in Brüssel Anfang Oktober sagte die polnische Landwirtschaftsministerin Danuta Hübner, ihre Regierung denke darüber nach, EU-Gelder für ländliche Entwicklung in Direktbeihilfen umzuwandeln, damit polnische Bauern gegenüber ihren westlichen Kollegen weniger benachteiligt seien. REINER METZGER

DANIELA WEINGÄRTNER

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