Egal, was gestern war und morgen sein wird

Brigitte Zypries könnte eine liberale Justizministerin werden – auch wenn sie aus Otto Schilys Innenministerium kommt

Wie zwei verfeindete Geschwister agieren Innen- und Justizministerium oft in der Bundesregierung. Typisches Beispiel: Otto Schilys Entwurf für ein Anti-Terror-Sicherheitspaket wurde von den Beamten des Justizressorts weitgehend zerpflückt und anschließend im Zusammenspiel mit den Grünen teilweise entschärft.

Jetzt aber wird ausgerechnet Brigitte Zypries, die bisherige Staatssekretärin im Innenministerium, als neue Justizministerin gehandelt. Damit müsste eine Frau, die vier Jahre lang vertrauensvoll mit Schily zusammenarbeitete, plötzlich als sein Gegenpol agieren. Dass Zypries nachgesagt wird, sie werde den 70-jährigen Schily in etwa zwei Jahren als Innenministerin beerben, erhöht die Skepsis noch. Könnte sie sich wirklich auf das Justizressort einlassen, wenn bereits der nächste Karrieresprung an die Spitze des ungleich größeren Innenministeriums lockt?

Vermutlich könnte sie es. Zypries wird in ihrem Umfeld als Frau beschrieben, die sich auf ihre jeweilige Aufgabe stets „zu 100 Prozent“ konzentriert. Ist sie erst einmal Justizministerin, so wird gesagt, dann ist sie es, ganz egal, was gestern war und morgen sein wird.

Vermutlich hätte sie auch gar keine andere Wahl, wenn sie sich den nötigen Respekt bei ihren neuen Mitarbeitern erwerben will. Diese sind nämlich anspruchsvoll geworden, seit Herta Däubler-Gmelin vor ihrem unrühmlichen Abgang das lange vor sich hin dämmernde Justizministerium wieder als energische Reformzentrale zu positionieren versuchte.

Dass Zypries mit Schily gut zurecht kommt, schadet da nicht. Sie gilt als Frau, auf die der knorrige Innenminister durchaus hört und die ihm auch schon die eine oder andere Überreaktion ausreden konnte. Direkt hatte sie mit Schilys Lieblingsthemen – Sicherheitspakete und Ausländerpolitik – allerdings nichts zu tun. Ihr Aufgabenbereich war die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Dabei arbeitete sie auch eng mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen, als dessen Schützling sie seit ihrer Zeit in der niedersächsischen Staatskanzlei ohnehin gilt.

Und nachdem sie mit ihrem resoluten Krisenmanagement der Flutkatastrophe einen wesentlichen Beitrag zu Schröders Wahlsieg geleistet hat, könnte sie bei Konflikten im Kabinett durchaus auf ein gewisses Wohlwollen hoffen.

Hilfreich für das Standing im neuen Amt wäre auch, dass Zypries von 1988 bis 1990 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht tätig war – im Dezernat des betont liberalen Richters Dieter Grimm, mit dem sie auch privat ein sehr gutes Verhältnis pflegte. Eine Law-and-Order-Hardlinerin ist Brigitte Zypries also ganz sicher nicht. CHRISTIAN RATH