Rock als Zitat

Eifrig drehendes Karussell verschiedenster Klangfarben: „Ninetynine“ am Sonntag in der Astra Stube

Laura MacFarlane fällt unter die Kategorie „hyperaktiv“. Wenn sie nicht gerade mit ihrer Band Ninetynine zwischen Litauen und Indonesien unterwegs ist, nimmt sie vermutlich eine neue Platte auf oder lernt weitere Instrumente zu spielen – Schlagzeug, Gitarre, Vibraphon und Keyboards reichen ihr nicht. „Ich möchte, dass sich meine Musik in möglichst vielen verschiedenen Klangfarben ausdrückt“, erläutert die Multiinstrumentalistin. „Je weiter diese von vorhersagbaren Rock-Schemata entfernt sind, umso besser.“

Damit spricht MacFarlane auch für den Rest der Band, die sich bei ihren bisherigen Auftritten in Hamburg stets als eifrig drehendes Karussell präsentierte. Von Song zu Song wurden die Positionen gewechselt, mal stand der Bassist am Glockenspiel, dann hängte sich die Vibraphonistin die Gitarre um, während die vielen kleinen Keyboards und Synthesizer in einem pulsierten und vibrierten wie in den besten Stereolab-Momenten. Wenig an Ninetynine erinnerte da an eine Rockband.

Anfangs war das noch anders. Als die australische Band 1996 ihre erste Platte veröffentlichte, klang sie wie eine unter vielen energisch rockender Frauenbands zwischen Sleater Kinney (wo Laura früher Schlagzeug spielte) und Bikini Kill. Doch schon 767, der Zweitling verabschiedete sich aus der Welt kläffender Gitarrenakkorde und prügelnder Schlagzeugbeats. Synthesizer hielten Einzug und ein Vibraphon. Ninetynine lernten schweben. Mit dem dritten Album, 180 Degrees, hat sich die klangliche Vielfalt von Ninety–nine vollends ausgewachsen. Ähnlich wie Le Tigre, die es einer klanglich untergeordneten Gitarre überlassen, auf den Ursprung ihrer Entwicklung zu verweisen, haben auch die Australier sich inzwischen so weit entfernt von tradierten Rockidiomen, dass diese häufiger als Zitat, denn als wirklicher Soundbaustein auftauchen.

„Wir interessieren uns zurzeit mehr für seltsame Percussion- und merkwürdige Keyboardsounds, als für krachende Gitarrenakkorde“, erklärt Schlagzeuger Cameron Potts. Das klingt dann etwa wie eine Mischung aus Martin Dennys Soundimitationen ferner Exotica-Biotope und einem brodelnden Percussionkessel. Just erschien mit The Process ein neues, viertes Album. In welche Richtung sich das Quartett darauf entwickelt, ist nun live zu überprüfen.

Gregor Kessler

Sonntag, 21 Uhr, Astra-Stube