off-kino Filme aus dem Archiv –frisch gesichtet

Es war einmal ein kleines hässliches Drehbuch, das hieß „Three Thousand“ und sollte in Hollywood zu einem düsteren Filmdrama um die Erlebnisse einer Prostituierten verarbeitet werden.

Doch als sich die Firma Vestron entschloss, das Projekt an den Konzern Disney/Touchstone zu verkaufen, wurde aus dem kleinen Drama ein wunderschönes Märchen. Zwar hieß es nun plötzlich „Pretty Woman“, doch es machte so ziemlich alle Menschen glücklich: die Zuschauer, die weltweit in Scharen die Kinos stürmten, die Produzenten, die sich bei Ausgaben von vierzehn Millionen Dollar über Einnahmen von mehreren hundert Millionen Dollar freuen konnten, und eine junge, aufstrebende Darstellerin namens Julia Roberts, die plötzlich der größte weibliche Filmstar der Welt war.

Nur ein paar Kritiker maulten herum und faselten etwas von Kapitalismusrechtfertigung und fehlender Sozialkritik. Als ob das jemals jemand den Brüdern Grimm vorgeworfen hätte – denn die Geschichte um die Beziehung der Prostituierten Vivian (Roberts) zum erfolgreichen Geschäftsmann Edward folgt ganz einfach der Struktur von „Aschenputtel“: mit Edward als Prinz, einem hilfreichen Hotelmanager (Hector Elizondo) als guter Fee und zwei hochnäsigen Verkäuferinnen in einer Boutique als den fiesen Schwestern. Und der Film macht noch nicht einmal Anstalten, seinen märchenhaften Plot irgendwie zu verstecken: Einmal fragt die von Zweifeln geplagte Vivian ihre Freundin und Kollegin Kit (Laura San Giacomo), ob ihr auch nur ein Straßenmädchen einfalle, das mit einem reichen Mann glücklich geworden sei. Es dauert eine Weile, aber dann kommt Kit doch noch auf den passenden Namen: „Cinde-fucking-rella!“

„Pretty Woman“ war der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt: Am Ende einer Ära von Yuppietum und Turbokapitalismus waren die Menschen schlicht ausgehungert nach einem Märchen, das ihnen die Welt zeigte, wie sie nun einmal nicht ist. Und es ist der Verdienst des Regisseurs Garry Marshall, einer noch völlig unverbrauchten Julia Roberts in „Pretty Woman“ den Raum zum Ausspielen sämtlicher Facetten ihrer Darstellungskunst gegeben zu haben, ohne sie wie viele andere Regisseure nach ihm auf ein Abziehbild zu reduzieren.

Roberts trägt den Film mit ihrer Lebendigkeit, Neugier und Verletzlichkeit – und mit dem Selbstbewusstsein, Nein zu sagen, wenn die Dinge einmal nicht so laufen, wie sie es sich vorstellt. Ihre spielerische Leichtigkeit ist auch die Leichtigkeit von „Pretty Woman“.

„Pretty Woman“ 20. 10., 23. 10. im Casablanca

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Ein Film, der nur selten zu sehen ist, und das aus gutem Grund: „Hitlerjunge Quex“, einer der ersten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 produzierten faschistischen Filme, ist bis heute verboten; Vorführungen müssen mit einem einleitenden Vortrag verbunden sein. Geschickt greift Regisseur Hans Steinhoff in der Geschichte vom Arbeiterjungen Heini Völker, der liebend gern der Hitlerjugend beitreten möchte, auf Strukturen und Bildsprache des proletarischen Films der Weimarer Republik zurück und verknüpft einen häuslichen Streit um die „richtige“ Ideologie mit einem Generationskonflikt: Für Heinis Vater (Heinrich George), einen kommunistischen Proletarier, steht außer Frage, dass sein Sohn einer kommunistischen Jugendorganisation beitreten wird, doch Heini singt nun mal lieber die HJ-Hymne „Unsere Fahne flattert uns voran …“ – und wird alsbald unter Prügeln zum Intonieren der Internationale gezwungen. Ausführlich porträtiert der Film sodann die Jugendorganisationen von Kommunisten und Nazis: den skrupellosen und verlotterten Gestalten auf der einen Seite stehen saubere Pfadfindertypen auf der anderen Seite gegenüber. Am Ende ist Heini tot – umgebracht von Kommunisten –, und nun sieht natürlich auch der Vater sein Weltbild ins Wanken geraten …

„Hitlerjunge Quex“ 17. 10. im Filmmuseum Potsdam

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Die Beratung der Geschworenen als Beispiel für die Funktionstüchtigkeit der amerikanischen Demokratie: Exemplarisch werden in Sidney Lumets „Die zwölf Geschworenen“ Menschen von unterschiedlichem sozialen Status und Bildungsniveau vorgeführt, die all ihren Vorurteilen zum Trotz am Ende den richtigen Urteilsspruch fällen. Das verdanken sie allerdings nicht zuletzt dem beharrlichen Henry Fonda, der hier eine seiner Glanzrollen als gutes Gewissen des amerikanischen Kinos spielt.

„Die zwölf Geschworenen“ 19. 10.–23. 10. im Klick. Am 20. 10. mit anschließender Diskussion zum Thema „Demokratieverdrossenheit“

LARS PENNING