„Ich war immer beide Füße“

Heinz Schuppert, heute 81, aus Niedersprockhövel bei Bochum ist einer der letzten noch lebenden Schüler der ersten, von Sepp Herberger geleiteten Trainerlehrgänge an der Sporthochschule Köln

von BERND MÜLLENDER

Neulich hat den Fußballlehrer a. D. Heinz Schuppert die Vergangenheit wieder mal eingeholt. Im Flugzeug nach San Francisco („dat war erst mein dritta Flug übahaupt“) kam der 81-Jährige mit dem Steward von United Airlines ins Gespräch. „Der lebt in Amerika“, staunte Schuppert, „und hatte trotzdem richtich Ahnung von Fußball.“ Dann fiel der Name Sepp Herberger. „Als ich dem gesacht hab, dass ich 1949 beim Chef meinen Trainerschein gemacht hat, hat der laufend Champagner geholt.“ Zum Abschied bekam der alte Mann noch eine Flasche 93er Dom Perignon in die Hand gedrückt.

Heinz Schuppert ist einer der letzten Teilnehmer, die aus den legendären ersten Nachkriegslehrgängen an der Kölner Sporthochschule noch leben. Dass er „als einziger Kreisligaspieler“ 1948 bei Sepp Herberger und dessen Assistenten Hennes Weisweiler lernte, beruht auf einem tragischen Verbot und dem Zufall. 1939, als Achtzehnjähriger, hatte der Nachwuchstorjäger der TSG Sprockhövel im südlichen Ruhrgebiet ein Angebot von Schalke 04. „Aber meine Eltern haben das verboten: „Du biss Sprockhöveler, wat willste in Schalke?!“ Stattdessen kam Hitlers Marschbefehl. Sechs Jahre Soldat.

1947, gerade zurück aus der Gefangenschaft, saß Schuppert im Kino. In der Wochenschau lief ein Beitrag über „Fußballer auf der Lehrbank“. Der erste Jahrgang, Trainerdiplom bei Herberger. Schuppert schrieb „so einen Aufsatz als Bewerbung“. Und wurde angenommen. Warum er? „Ich hab keine Ahnung.“ Neben dem Provinzstürmer fanden sich an der Sporthochschule Köln die Großen der Zunft ein: Herbert Burdenski, Willibald Kress, Schorsch Gawliczek, Helmut Kronsbein, Kuno Klötzer.

Ein ganz harter Hund

Wie der Sepp so war? „So weit in Ordnung“, sagt Schuppert als Erstes. Aber auch „streng, sehr streng, der ließ uns ganz schön marschieren“. Einmal hatte Schuppert starken Muskelkater. „Ich konnte kaum noch laufen. Da hat der Herberger gesagt: Wenn es wehtut, muss man dagegen angehen. Und hat mich extra noch so wat von üba den Platz gejagt.“ Wunderheilung der harten Nachkriegszeit: „Am nächsten Tag war alles weg.“ Und Weisweiler? „Der war noch schlimmer. Ein ganz harter Hund.“ Schuppert trommelt mit den Fingern auf den Tisch. „Immer zackzack, Disziplin, fast militärisch.“ Es klingt anerkennend. Schuppert lächelt: „Aber abends konnte man mit denen reden. Da waren die in Ordnung.“

Herberger lebte gleich neben der Sporthochschule „auch in so einer Baracke mit seiner Frau Eva. Und die hat öfta mal für uns nen Kuchen gebacken.“ Der einjährige Lehrgang, jede Woche Montag bis Freitag, kostete 400 Mark, viel Geld. Aber es gab auch was zurück. „1948 hatten wir doch zu Hause gerade mal Rübenkraut und Brot. In Köln gab es Kartoffelsalat mit Würstchen, manchmal sogar ein Kotelett.“ Und natürlich viel zu lernen. Theorie und Praxis haben „sich abgewechselt“, erinnert sich Schuppert. Taktikschulung („mit Tafel und so“), Massage-Unterricht und Vorträge eines Psychologen: „Das hat sich alles der Herberger ausgedacht.“ Der Seelenfachmann sei aber „ein komischer Kerl“ gewesen, der habe „immer mit den Ohren gewackelt und die Klasse dauernd gelacht“. Immerhin: „Wir haben gelernt, wie Menschen so sind. Wie die reagieren. So Sachen halt.“ Nachhaltig beeindruckt hat den gelernten Dreher („also Bankangestellter“) die Sportmedizin. In der Anatomie wurde an einer Leiche „die Kniescheibe aufgemacht, das Herz und auch der Kopf, richtig so wie ein Deckel hochgeklappt: Großhirn, Kleinhirn, wie das so aussieht und funktioniert eben“. Schuppert lacht: „Spielintelligenz konnte man allerdings nicht so erkennen.“

Fiffi Kronsbein wurde nicht Schupperts Freund. „Das war ein Schmierlapp. Hat dem Herberger einen Schäferhund geschenkt. Und wurde, wie die anderen Großen auch, oft bevorzugt.“ So sei auch die Eins im Diplom „für die Nationalspieler reserviert“ gewesen, Herberger habe schon „seine Lieblinge gehabt“. Mit der „Gesamtnote befriedigend“ war Schuppert „trotzdem zufrieden“ und nunmehr „staatlich geprüfter Fußballlehrer“. In Gesundheitslehre hatte er eine seltene Zwei: „Bei der Leichensezierung sind die meisten rausgerannt, ich hab durchgehalten.“

Pils und Steinhäger

Es war die Zeit, als das Geld eine Rolle zu spielen begann im Fußball. Herberger sagte mal: „Die BMWs machen den Fußball kaputt.“ Damit meinte er die Naturaliensponsoren Bäcker, Metzger und Wirte. „Anfang der Fünfzigerjahre“, schimpft Schuppert, „hab ich’s selbst miterlebt. In der Kreisklasse haben sie einem Spieler nen Käfer geschenkt für den Clubwechsel. Ich hab denen gesagt: Ihr seid wahnsinnig!“ Er selbst habe nie was gekriegt als Spieler: „Ostern mal zwei hart gekochte Eier. Und wenn wir gewonnen haben, vom Wirt elf Pils und elf Steinhäger.“

Groß herausgekommen ist der Trainer Schuppert nicht. Mit seiner TSG ist er als Spielertrainer gleich nach dem Trainerdiplom in die Bezirksliga aufgestiegen. Bis Landesliga hat er trainiert. „Ich wollte ja auch nie hier weg aus Sprockhövel.“ Heute bleibt nur das Zugucken. Schuppert mault über Variantenarmut bei Freistößen („Was haben wir da für Sachen geübt beim Herberger!“) und das Legionärstum: „Neulich war Bochum gegen Dortmund, da spielte keiner mehr ausm Pott.“ Überhaupt die Herren Profis heute: „Da höre ich Kommentare, der Spieler hat den Ball aufs falsche Bein gekriegt. Wenn ich einen hatte, und der konnte nur rechts, dann hab ich den im Training alles nur mit links machen lassen.“ Beim Nachkriegsstürmer Schuppert herrschte sowieso Egalität per pedes: „Ich war immer beide Füße.“