pampuchs tagebuch
: Was hinten herauskommt

Der Begriff „Afterwissenschaft“ bezeichnet Tätigkeiten, die nur den Tatbestand eines dem wahren und wirklichen Leben Hinterherhinkens erfüllen und eigene Kreativität durch Erbsenzählerei bei den Arbeiten wirklich Kreativer ersetzen. Besonders häufig wird die Germanistik als Afterwissenschaft bezeichnet, beschäftigt sie sich doch gerne mit kulturellen Leistungen, ohne dabei selbst ein erregendes intellektuelles Niveau zu erklimmen. Mit Doktorabeiten vom Typ: „Die Bedeutung der Mehlspeis im Spätwerk Adalbert Stifters“ werden seit Generationen akademische Häupter bekränzt. Der Rest der Welt lebt gewiss besser mit einem Buch von Stifter oder (und das auf jeden Fall) mit einer Mehlspeis.

 Ähnliches ließe sich natürlich auch über den Journalismus sagen. Der gehört von vornherein zum reagierenden und reproduzierenden Gewerbe und ist gewissermaßen konstitutiv eine Aftertätigkeit: Voraussetzung des Journalismus sind tägliche Früh- und Spätwerke, in welchen er dann nach allen möglichen Bedeutungen kramt – oder ihnen eine solche durch die Beschäftigung mit ihnen gar erst verleiht.

 Nun gilt der Lehrsatz, dass „the real thing“ zumeist besser ist als dessen Beschreibung für vieles im Leben. Dabei ist es natürlich nicht jedem gegeben, das Wahre, Gute, Echte immer selbst zu betreiben, schon gar nicht andauernd und ausschließlich. Genau da setzt das Medium Zeitung an und versorgt seit nunmehr einigen Jahrhunderten die dankbare Bevölkerung mit bedeutungsvollen Informationen aus zweiter Hand. Radio und Fernsehen sind im Laufe des letzten Jahrhunderts dazugekommen, doch das Wort vom „Ende der Gutenberg-Ära“ schien bis heute mehr eine jener hochfrisierten Feuilletonfiguren zu sein, die eher Bedeutung postulieren als sie erkennen.

 Da lesen wir plötzlich in einer vom Verband Deutscher Zeitungsverleger selbst in Auftrag gegebenen Studie, dass sie bei Strafe des Untergangs schleunigst ihr „Engagement im Internet verstärken“ und ihre „Printausgaben funktionsteilig ergänzen“ sollte. Grund fü den Alarm ist die von Allensbach erhobene Erkenntnis, dass die „unter 30-Jährigen über keine Affinität zum gedruckten Blatt mehr verfügen“ und – doppelt gefährlich – „die Umsonstkultur des Internets längst verinnerlicht haben.“

 10 Millionen nicht zahlungsbereiter Onlineleser, für die Nachrichten, Reportagen und Kommentare, seit sie denken können, aus der Kiste kommen wie Wasser aus der Wand und Licht aus der Decke. Was also drohen könnte – und im Übrigen in vielen Onlineredaktionen schon gepflegt wird –, ist die „Afteraftertätigkeit“. Es wird ja wohl niemand behaupten, dass Onlinetexte bisher viel mehr sind als entweder die elektronische Zweitverdauung von Printgeschichten oder aber die schnelle Überarbeitung von Agenturmeldungen, die dann durchfallartig als Teletext im Netz ausgeschieden werden. Die elektronische Zweitverwertung ist – zumal mit Archivsuch- und Linkfunktionen (etwa bei www.taz.de) ein durchaus segensreicher Zusatzservice guter Zeitungen. Ob die Nur-online-Tageszeitung eine Zukunft hat, ist schon deswegen unklar, weil keiner weiß, wie und ob sie bezahlt würde. Mehr als acht Euro im Monat jedenfalls ist den Lesern laut Allensbach Onlinejournalismus derzeit nicht wert. Zwei Mehlspeisen, wenn's hoch kommt. THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com