PORTUGALS SCHULDENMACHER HABEN VIELE HEIMLICHE FREUNDE
: Letztes Zucken einer alten Epoche

Die EU-Kommission geht nun offiziell gegen Portugal vor, weil das Land die Stabilitätskriterien der Euro-Verträge nicht einhält, nach denen die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttosozialprodukts bleiben muss. Portugal liegt mit vier Prozent deutlich darüber. Nun wird die Kommission wie vereinbart den Finanzministern vorschlagen, den Haushaltssünder zu einer Milliardenstrafe zu verdonnern. Nur pfeifen es alle Spatzen von den Dächern: Die Finanzminister werden sich hüten, einen der Ihren abzuurteilen. Vielmehr werden sie die Kommission auflaufen lassen und irgendeine Ausrede für die Portugiesen finden.

Noch vor einem oder zwei Jahren wäre das ein Anlass für einen allgemeinen Aufschrei gewesen: Der Euro wäre abgestürzt, weil damit klar ist, dass sich die Europäer, wenn es hart auf hart geht, nicht an ihre eigenen Stabilitätsschwüre halten. In den vergangenen Wochen und Monaten ist der Euro jedoch im Verhältnis zum Dollar gestiegen, auch weil den Finanzmärkten derzeit die Haushaltsdefizite zu Recht herzlich egal sind.

Die Stabilitätskriterien stammen aus einer anderen Zeit. Damals herrschte Wirtschaftsboom, vor allem in den USA. Die Zentralbanken hatten Angst vor einer Überhitzung der Konjunktur, vor Inflation und davor, dass die Staaten diese durch Verschuldung weiter anheizen könnten. Heute hingegen stehen alle großen Industrieländer in der Flaute. Die Furcht ist eine ganz andere: dass der sinkende Konsum die niedrige Inflation vollends verschwinden lässt. Dann hätten wir sinkende Preise, was auf Dauer noch immer einen schweren Wirtschafts- und Finanzkrach ausgelöst hat. Da sind höhere Staatsausgaben plötzlich willkommen, weil sie die Konjunktur am Laufen halten – auch wenn sie die Verschuldung erhöhen.

Die Finanzminister haben all das wohl im Kopf. Aber sie haben einen noch wichtigeren Grund, die Kommission abblitzen zu lassen: Deutschland und Frankreich, vielleicht auch Italien und andere schaffen es selbst nicht, das Dreiprozentkriterium einzuhalten. Deshalb werden sie keine Verurteilung zulassen. Das ist zwar ein typischer politischer Grund, aber in diesem Fall führt er nicht ins wirtschaftliche Chaos. REINER METZGER