„Probleme nicht gelöst“

Die Steuerpolitik der neuen Regierung hilft weder den Sozialversicherungen, noch schafft sie Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich, meint Attac-Mitglied Sven Giegold

taz: Herr Giegold, Kapitalgesellschaften und Spekulanten müssen wieder Steuern zahlen – ist das endlich die „sozial gerechte Modernisierung“?

Sven Giegold: Ganz so euphemistisch würde ich das nicht formulieren. Einige Teilreförmchen machen noch keine Reform.

Wie meinen Sie das?

Es wurde nachgebessert, etwa bei der Steuerreform, die ja die perverse Folge hatte, dass Kapitalgesellschaften kaum mehr Körperschaftsteuer zahlen. Oder beim Bankgeheimnis, das nun endlich gelockert wird. Aber die grundlegenden Probleme werden nicht gelöst. Gegen die wachsende soziale Schieflage wurden keine Maßnahmen ergriffen.

Aber die neue Besteuerung von Aktienverkäufen trifft vor allem die Reicheren.

Das kritisiere ich ja auch nicht. Aber an den großen Defiziten im Steuersystem wurde nicht gerührt. Beispiel soziale Sicherung: Da klaffen immer größere Finanzierungslücken. Man müsste da alle Einnahmen einbeziehen, also auch Zinseinkünfte, Mieten und so weiter. Und nicht nur die Arbeitseinkünfte!

Die Sozialversicherungen sind nicht das einzige Problem. Die Koalition steht vor einem Milliarden-Haushaltsloch. Das muss sie irgendwie flicken – und gleichzeitig die Konjunktur in Schwung bringen. Wie soll sie das machen?

Grundsätzlich ist die Abkehr vom knallharten Sparkurs gut. Man kann den Haushalt nicht sanieren, wenn die Wirtschaft gleichzeitig in die Krise fährt. Was die Regierung aber tun müsste: In schlechten Zeiten mehr Schulden machen und noch viel stärker als geplant investieren – sich in guten Zeiten allerdings dazu verpflichten, den Schuldenberg konsequent abzutragen. Dazu könnte sie zum Beispiel die Vermögensteuer wieder einführen und die Erbschaftsteuer erhöhen. Das belastet vor allem die großen Vermögen, und die tragen zur Ankurbelung der Konjunktur eh kaum bei, weil dieses Geld nicht in den Konsum fließt. Diesen Kurswechsel hat die Regierung nicht vollzogen.

Das wäre auch nicht einfach. Deutschland hat sich im EU-Stabilitätspakt auf den Abbau des Haushaltsdefizits verpflichtet.

Deshalb müsste der Stabilitätspakt geändert werden. Die Regierung traut sich bisher nur noch nicht, das laut vorzuschlagen.

Unter dem Druck des Haushaltslochs will die Regierung jetzt die vor kurzem noch verpönte Tobin-Steuer auf Devisengeschäfte prüfen lassen – gegen den Willen des dafür zuständigen Finanzministers. Freut man sich bei Attac, dass die lang geforderte Steuer nun Beachtung findet?

Ach, da ist doch schon genug geprüft worden: Das Entwicklungsministerium, die EU-Kommission, diverse europäische Parlamente haben die Steuer geprüft … Jetzt brauchen wir eine politische Entscheidung: Der Bundestag soll beschließen, dass wir die Tobin-Steuer einführen wollen. Und der Kanzler soll sich klar äußern, ob er dafür ist. Eichel ist in dieser Frage leider verbohrt.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN

Fotohinweis: SVEN GIEGOLD, 32, Globalisierungskritiker und Attac-Mitbegründer, promoviert über Steuern.