Seine Diäten verwettet keiner

Die grüne Bundestagsfraktion hört bei der Wahl ihrer Vorsitzenden auf Joschka Fischer, aber das allein reicht nicht. Der Sieg der Favoritinnen war darum durchaus nicht sicher

BERLIN taz ■ Bis zuletzt können noch Kandidaten aufspringen. So lautet der eine Grundsatz, wenn die neue grüne Bundestagsfraktion ihre Spitze wählt. Bis zuletzt können Kandidaten wieder abspringen, ist die andere Erfahrung.

Der Umweltexperte Reinhard Loske hatte zwei Tage vor dem Wahlgang aufgegeben. Gestern erklärte auch die Sozialpolitikerin Thea Dückert, die kurzfristig erwogen hatte, anzutreten, ihren Verzicht. Damit heißen die neuen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager – wenn nicht der dritte Grundsatz grüner Wahlen greift: Es gibt eine Überraschung. Bei Redaktionsschluss war die Wahl jedenfalls noch voll im Gange.

Wie groß die Unruhe ist, die schon ein einziger Herausforderer in die vermeintlich so wohl geordneten Reihen der Fischer-Grünen tragen kann, war gestern vor dem Fraktionssaal zu beobachten. Bis hinauf zum heimlichen Kanzler, Partei- und Fraktionsvorsitzenden Joschka Fischer wollte kein grüner Abgeordneter seine Diäten auf das Scheitern von Werner Schulz verwetten.

Dabei trat der frühere Parlamentarische Geschäftsführer, zeitweilige Leipziger Oberbürgermeisterkandidat und wirtschaftspolitische Sprecher seiner Fraktion als klarer Außenseiter an. Das Spitzenteam der grünen Wahlkämpfer um Fischer sowie die Parteichefs Fritz Kuhn und Claudia Roth hatte sich intern für das Ost-West-Duo Sager und Göring-Eckardt ausgesprochen. Schulz hat jedoch seit der Listenaufstellung für den Bundestag den Ruf, durch sorgfältige Vorbereitung und eine feurige Rede das Blatt für sich wenden zu können. Im Berliner Landesverband hatte er die Favoriten Christian Ströbele und Andrea Fischer aus dem Feld geschlagen.

Die größte Hürde stellte für Schulz der Widerstand Joschka Fischers dar, mit dem der Ostdeutsche von 1994 bis 1998 zusammen gearbeitet hatte. Fischer führte damals die Fraktion, Schulz gab den parlamentarischen Geschäftsführer. Als der Obergrüne 1998 Minister wurde, unterstützte er den Baden-Württemberger Rezzo Schlauch in einer Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz – gegen Schulz. Der Veteran der ostdeutschen Bürgerbewegung sieht sich als unabhängiger Kopf, Fischer hält ihn dagegen für zu individualistisch, um die Fraktion zu integrieren. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse der Koalition hat dieses Argument wohl noch an Gewicht gewonnen.

Die Hamburger Exsenatorin Sager und die Thüringerin Göring-Eckardt können demgegenüber auf eine lange und reibungsloe Zusammenarbeit mit Fischer zurückblicken. Die frisch gebackene Abgeordnete Sager gehörte in den 90er-Jahren dem Parteivorstand an, ihre 36-jährige Kollegin hat die letzten zwei Jahre als Fraktionsgeschäftsführerin auch das Innenleben der Koalition kennen gelernt.

Harmonie dürfte bei der Neubesetzung der Geschäftsführerposten geherrscht haben. Bei Sitzungsbeginn gab es drei Kandidaten für drei Posten: den Rechtspolitiker Volker Beck für Göring-Eckardts Nachfolge sowie Ekin Deligöz und die Kosovo-Rebellin Irmingard Schewe-Gerigk als Stellvertreter.

PATRIK SCHWARZ