Die neuen Alten aus dem Hut

Die jüngsten Neuzugänge in Schröders Reformkabinett sind alte Bekannte: Manfred Stolpe soll den Osten, Renate Schmidt die Familien verwalten
von ROBIN ALEXANDER

Gestern feierte Gaby Tiefensee aus Leipzig-Connewitz ihren 47sten Geburtstag. Dies ist noch keine Nachricht. Dass sie um Mitternacht mit ihrem Mann anstoßen konnte schon. Denn Wolfgang Tiefensee, Mann von Gaby, Vater von vier Kindern und Oberbürgermeister von Leipzig, sollte nach dem Willen von Gerhard Schröder eigentlich in Berlin sein.

Die Nachrichtenagenturen verkündeten schon, der 47-jährige SPD-Politiker werde der neue „Superminister Ost“. Tiefensee fuhr Dienstagabend auch ins Kanzleramt, erklärte dort aber zum Entsetzen der ostdeutschen Sozialdemokraten und zum Zorn des Kanzlers, er ziehe es vor, Leipzigs Stadtvater zu bleiben. Nun muss der 66-jährige ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg Manfred Stolpe den Oberossi im Kabinett geben.

Die Regierenden, der neue Ostminister und der unwillige Bürgermeister erklärten gestern auf Pressekonferenzen in Berlin und Leipzig gleichlautend: „Stolpe war erste Wahl.“ Eine leicht als unwahr durchschaubare Sprachregelung. In Wirklichkeit ist man allenthalben sauer auf Tiefensee. Stolpe erklärte, er habe das Amt angenommen, weil er sich „als Preuße in der Pflicht fühlte“. Ein deutlicher Seitenhieb auf den pflichtvergessenen Sachsen. Joschka Fischer sprach Tiefensee vor Journalisten gar den Patriotismus ab: „Wenn Deutschland ruft, darf man nie Nein sagen.“

Der eigentliche Verlierer der seltsamen Scharade ist einer, der sich gestern nicht äußerte. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident und einziger Ossi im Kernteam der Koalitionsverhandlungen. Thierse hatte vor Jahresfrist mit seiner These „Der Osten steht auf der Kippe“ einen Wechsel der Konzeption des Aufbaus Ost angemahnt. In den Koalitionsverhandlungen wollte er dies nun praktisch umsetzten: In einem 90 Milliarden Euro schweren „Infrastrukturministerium“ wird eine Menge Geld mit einer Menge Zuständigkeit (Bau und Verkehr) vereint. Tiefensee als Minister sollte das Ganze „auf Erfolg buchen“. Meint: Tiefensee tritt 2004 gegen den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten an. Damit er Chancen hat, braucht er vorzeigbare Erfolge als Ostminister, die ihm Kanzler und Superminister Clement also gewähren müssen. Dies alles nutzt dem Aufbau Ost. Das Beste an dem Plan: Thierse setzte ihn tatsächlich durch. Bis Tiefensee „den Schwanz einzog“, wie es gestern aus Thierses Umgebung hieß. Zur Überraschung aller Teilnehmer und Beobachter hatte Tiefensee seine zahlreichen Dementis („Mein Platz ist in Leipzig“) tatsächlich ernst gemeint. Dienstagabend von 20 Uhr bis 22 Uhr 20 redeten Schröder, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, sein Vorgänger Manfred Stolpe und der telefonisch ins Kanzleramt zugeschaltete Thierse auf Tiefensee ein. Dann hatte Schröder die Faxen dicke. Der gestern kolportierte Ausspruch: „Wenn ihr Ossis euch nicht einigen könnt, bleibt das eben der Bodewig“, ist so nicht gefallen, illustriert jedoch die Lage treffend.

Stolpe sprang schließlich in die Bresche, um vom Thierse-Plan zu retten, was zu retten war. Das ist nicht viel: Stolpe ist ein Politiker mit Vergangenheit, nicht mit Perspektive. Auf ihn braucht Clement also keine Rücksicht nehmen. Anders als Tiefensee, der mit dem geistig und wirtschaftlich prosperierenden Leipzig assoziiert wird, steht Stolpe für „die kleine DDR“ Brandenburg mit ihren Pleiten Cargolifter und Lausitzring.

Stolpe gehört zur „Landesvater-Generation“ ostdeutscher Politiker, mit denen Schröder nie viel anfangen konnte. Ihm liegt eher die „Manager-Generation“, die 40- bis 50-Jährigen wie Platzeck, wie der Thüringer Christoph Matschie oder eben wie Tiefensee. Der ist aber nicht nur pragmatisch: Der bekennende Katholik und ehemalige Bausoldat, der in der Wendezeit über die Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ in die Politik kam, hat in der DDR gelernt, Nein zu sagen, wenn er von einer Sache nicht überzeugt ist.

von LUKAS WALLRAFF

Größer könnte der Unterschied kaum sein. Als Gerhard Schröder 1998 seine erste Familienministerin Christine Bergmann ins Kabinett holte, teilte er sie ein für „Frauen und das andere Gedöns“. Ganz anders gestern: Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags erwähnt der Kanzler die Familienpolitik gleich am Anfang – und mit Renate Schmidt präsentiert Schröder eine neue Ministerin, die schon jetzt bekannter ist als Bergmann nach vier Jahren.

Dass den Job nun eine Promi-Frau machen soll, ist folgerichtig. Auf keinem anderen Gebiet hat sich die Wahrnehmung des Kanzlers so sehr verändert, seit er regiert. Vor einem Jahr bezeichnete er die Familienpolitik plötzlich als „das wichtigste gesellschaftliche Thema der nächsten Jahrzehnte“. Obwohl überall gespart wird, macht Rot-Grün für Ganztagsschulen und Kindergärten ein paar Milliarden locker. Und die 58-jährige Schmidt hat das, was Bergmann fehlte: Langjährige Erfahrung und Einfluss in der SPD. Vor allem aber verfügt die stellvertretende Parteivorsitzende über Ausstrahlung und die Fähigkeit zur klaren Aussprache.

Kein Wunder, dass sich der Deutsche Frauenrat auf „eine gestandene, durchsetzungsfähige Frauenpolitikerin“ freut. Von Schmidt sei zu erwarten, dass sie sich auch bei der Gesundheitsreform und der Umsetzung des Hartz-Konzeptes „einmischt“, sagte Frauenrats-Vorsitzende Inge von Bönninghausen der taz. Umso größer dürfte ihre Enttäuschung sein, falls Schmidt schon beim Gleichstellungsgesetz ebenso wie Bergmann am Widerstand der Männer scheitert.

Doch Schmidt bringt bessere Voraussetzungen mit. Während sich Bergmann selten Gehör verschaffen konnte, erkämpfte sich Schmidt Respekt, wo es für die SPD nie etwas zu holen gab: in Bayern. Als erste weibliche Landeschefin war die „rote Renate“ in den 90er-Jahren so populär, dass die CSU zwar nicht um ihre Macht, aber um einige Prozente zittern musste. Nicht nur bei Frauen kam die Mutter von drei Kindern an, sondern auch in Bierzelten. Den Titel, den ihr der frühere Ministerpräsident Max Streibl verlieh („Krampfhenne“), durfte sie als Kompliment verstehen. Nachdem Schmidt vor zwei Jahren in Bayern abtrat, ging es mit der SPD wieder bergab.

Schmidt selbst hatte sich nur scheinbar zurückgezogen. Mit ihrem Buch „S.O.S. Familie“ signalisierte sie bereits im Frühjahr dezent Interesse an Bergmanns Nachfolge. Nun ist sie zurück im Geschäft – und sogar als nächste Bundespräsidentin im Gespräch.